Die Graefin Charny
meinem Zimmer sprechen kann.«
»Nicht in Ihrem Zimmer,« entgegnete derselbe Munizipalbeamte, »sondern in dem Speisezimmer; so haben wir's mit dem Justizminister verabredet.«
»Aber Sie haben doch gehört,« sagte der König, »daß mir der Beschluß des Konvents gestattet, meine Familie ohne Zeugen zu sprechen.«
»Das ist wohl wahr, Sie werden unter sich sein, die Tür wird geschlossen, aber wir werden Sie durch das Fenster beobachten.«
»Gut, lassen Sie meine Familie kommen.«
Die Munizipalbeamten entfernten sich, und der König ging in das Speisezimmer.
Clery folgte ihm, rückte den Tisch auf die Seite und stellte die Sessel weg, um Platz zu machen.
»Clery,« sagte der König, »bringen Sie eine Flasche Wasser und ein Glas, für den Fall, daß die Königin Durst bekommt. ... Warten Sie, Clery; bitten Sie den Herrn Abbé Edgeworth, mein Zimmer nicht zu verlassen; sein Anblick könnte einen zu großen Eindruck auf meine Familie machen.«
Um halb neun Uhr tat sich die Tür auf. –
Die Königin ging voran, ihren Sohn an der Hand führend; dann kamen Madame Elisabeth und Madame Royale.
Der König breitete die Arme aus. Die beiden Damen und die beiden Kinder sanken weinend an seine Brust.
Eine Minute lang herrschte tiefe Stille im Speisezimmer, man hörte nur das Schluchzen der Frauen und Kinder.
Dann machte Marie Antoinette eine Bewegung, um den König in sein Zimmer zu führen.
»Nein,« sagte er, sie zurückhaltend, »ich darf Sie nur hier sprechen.«
Die Königin und die königliche Familie hatten den Urteilsspruch durch Zeitungsverkäufer erfahren, aber die näheren Umstände waren ihnen nicht bekannt.
Der König erzählte ihnen, was er wußte, entschuldigte seine Feinde und zeigte der Königin, daß weder Pétion noch Manuel für den Tod ohne Aufschub gestimmt hatten.
Marie Antoinette hörte zu und jedesmal, wenn sie sprechen wollte, wurde ihre Stimme durch Tränen erstickt.
Sie überließ sich einem Gefühl, das der Reue sehr ähnlich war. Sie wollte den König in sein Zimmer führen, um einen Augenblick allein mit ihm zu bleiben. Als sie sah, daß es nicht möglich war, zog sie den König ans Fenster. Gewiß wollte sie ihm zu Füßen fallen und ihn weinend und schluchzend um Verzeihung bitten. Der König erriet ihre Absicht und hielt sie zurück.
»Lesen Sie das, meine teure, geliebte Gattin«, sagte er, sein Testament aus der Tasche ziehend.
Marie Antoinette las halblaut den Satz, den ihr der König mit dem Finger zeigte:
»Ich bitte meine Gemahlin, mir alle Leiden zu verzeihen, die sie um meinetwillen erduldet, und den Kummer, den ich ihr während unserer Ehe vielleicht gemacht habe, so wie sie auch versichert sein kann, daß ich ihr nicht zürne, falls sie sich etwas vorzuwerfen hätte.«
Wer würde ihr einen Vorwurf machen mögen, der Dulderin, die mit der doppelten Glorie des Märtyrertums und der Verzeihung ihres Gatten vor die Nachwelt getreten ist?
Sie fühlte das; sie sah ein, daß sie von jenem Augenblick an vor der Geschichte gerechtfertigt dastand; aber sie wurde um so schwächer im Angesicht des Mannes, den sie so spät lieben und schätzen gelernt hatte, sie fühlte, daß sie ihn verkannt, seine guten Eigenschaften übersehen und nur seine Mängel bemerkt hatte.
Es waren nicht mehr Tränen, nicht mehr Worte, die sich der Brust der Unglücklichen entrangen, es war ein krampfhaftes Schluchzen. Sie wollte mit ihrem Gemahl sterben, und wenn man ihr diese Gunst verweigerte, den Hungertod erleiden.
Die Kommissare, die nichts verstehen konnten, aber an den Gebärden errieten, daß der Verurteilte die Überlebenden tröstete, vermochten den Anblick nicht länger zu ertragen; sie wandten sich ab, und als sie weiter die Klagetöne hörten, ließen sie ihrem menschlichen Gefühl freien Lauf und brachen in Tränen aus.
Dieser herzzerreißende Auftritt dauerte eindreiviertel Stunden. – Endlich stand der König auf. Gattin, Schwester, Kinder hängten sich an ihn. Der König und die Königin hielten den Dauphin bei der Hand. Die kleine Prinzessin stand zur Linken ihres Vaters und hielt ihn umfaßt; Madame Elisabeth stand hinter ihrer Nichte und hielt den Arm des Königs; Marie Antoinette, die des Trostes am meisten bedurfte, weil sie am wenigsten schuldlos war, hatte den Arm um den Hals ihres Gatten geschlungen, und diese rührende Gruppe fühlte nur einen Schmerz. Mitten unter dem Schluchzen und Wehklagen hörte man nur die Worte:
»Wir werden uns wiedersehen, nicht
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