Die Graefin Charny
wir haben keine Zeit zu verlieren.«
Nach einer viertelstündigen Fahrt hielt der Wagen im Gefängnishofe von Bicêtre.
Mitten im Hofe waren fünf bis sechs Zimmerleute eben dabei, unter der Leitung eines kleinen, schwarzgekleideten Mannes eine Maschine von sonderbarer Gestalt aufzustellen.
Gilbert stutzte: er erkannte den Doktor Guillotin, den er bei Marat gesehen hatte.
»Guten Morgen, Baron«, sagte Guillotin. »Es freut mich, daß Sie der erste sind und den Doktor gleich mitbringen ...«
Inzwischen war die Maschine fertig geworden. Ihr Anblick war so furchterregend, daß Gilbert schauderte; der Erfinder blickte entzückt auf sein Werk.
Die Grundlage der Maschine bildete eine mit Brettern belegte Fläche, zu welcher man auf einer leichtgezimmerten Treppe hinaufgelangte.
Auf dieser etwa fünfzehn Fuß großen Plattform, der Treppe gegenüber, erhoben sich zwei parallele, zehn bis zwölf Fuß hohe Pfähle mit Fugen nach der Innenseite, zwischen denen ein halbmondförmiges Fallbeil hing, das durch eine Feder oben festgehalten wurde; sobald jedoch die Feder zur Seite gedrückt wurde, fiel das schwere Beil, in den Fugen gleitend, von der Höhe hernieder.
Am Fuße der Pfähle befand sich ein Block mit einer Vorrichtung, durch welche ein erwachsener Mensch den Kopf stecken konnte.
Während Cagliostro und Gilbert sich über diese neue Erfindung unterhielten, erschienen neue Zuschauer.
Gilbert erkannte unter ihnen den alten Doktor Louis, einen Kollegen Guillotins, begleitet von dem Stadtbaumeister Giraud. Auch der Scharfrichter von Paris war dabei.
Nicht lange, und ein weiterer Zuschauer war angekommen: es war der Doktor Cabanis, der zu Gilbert und Cagliostro trat.
»Meine Herren,« sagte der Doktor Guillotin, »da wir niemanden mehr erwarten, so können wir anfangen.«
Er winkte, und aus einer Tür kamen zwei graugekleidete Männer, die einen Sack trugen, dessen Umrisse leicht erraten ließen, daß ein menschlicher Leichnam darin steckte.
An den Fenstern erschienen die blassen Gesichter der Gefangenen, die als ungebetene Zuschauer mit bestürzten Blicken dem unerwarteten, furchtbaren Schauspiel zusahen.
Am Abend desselben Tages, nämlich am 24. Dezember, war Empfang bei der Prinzessin von Lamballe.
Im Laufe des Vormittags war der junge Baron Isidor von Charny von einer Reise nach Turin zurückgekommen, wo er eine Mission an den Grafen von Artois erledigt hatte. Gleich nach seiner Ankunft begab er sich zum König und dann zur Königin, die ihn beide sehr huldreich empfingen.
Er überbrachte vom Grafen von Artois den Rat, sich Favras anzuvertrauen und nach Turin zu kommen.
Die Königin behielt Isidor eine Stunde bei sich und lud ihn ein, am Abend in den Salons der Prinzessin von Lamballe zu erscheinen.
Um neun Uhr abend begab Isidor sich dorthin.
Der König und die Königin waren noch nicht da. Monsieur, der etwas unruhig schien, sprach mit de la Châtre und d'Avrey.
Der Kreis der Vertrauten bestand aus den Herren von Lamets, Herrn von Ambly, de Castries, de Fersen, Suleau, lauter treuen Anhängern, aber zum Teil sogar tollen Köpfen.
Isidor von Charny kannte keinen dieser jungen Männer; als aber sein Name genannt wurde, streckten sich alle Hände ihm entgegen. Überdies brachte er ja Nachrichten aus der Fremde.
Zuerst sprach Suleau; er hatte der heutigen Sitzung der Nationalversammlung beigewohnt und mit angehört, wie der Doktor Guillotin von der Rednertribüne aus die Vorzüge der von ihm erfundenen Maschine gerühmt hatte. Der menschenfreundliche Mann hatte den Antrag gestellt, statt aller bisherigen Todeswerkzeuge, die den Grèveplatz so lange in Schrecken gesetzt hatten, statt Galgen, Rad und Scheiterhaufen seine Maschine anzuwenden. Die Nationalversammlung war, wie Suleau berichtete, nicht abgeneigt gewesen, diesem Antrag stattzugeben.
Sobald ein Türsteher den König und die Königin meldete, hörte alles Geplauder auf, um dem ehrerbietigsten Schweigen Platz zu machen.
Das Herrscherpaar trat ein.
Die Prinzessin von Lamballe und Madame Elisabeth empfingen die Königin. Monsieur ging auf den König zu.
»Lieber Bruder, könnten wir nicht mit der Königin und einigen Vertrauten in einem abgesonderten Zimmer ein Spiel machen, um unter dem Schein des Whist ungestört miteinander reden zu können?«
»Sehr gern, Bruder«, antwortete Ludwig XVI.; »verabrede es mit der Königin.«
Monsieur ging auf Marie Antoinette zu, die eben mit Isidor von Charny im Gespräch war.
»Liebe Schwester,«
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