Die Graefin Charny
König sagte: ›Tue nur, als ob du zu Hause wärst, Gamain; arbeite nur fleißig, wir wollen unterdessen den Schrank herrichten.‹ Darauf ging er mit dem Gesellen fort.«
»Ging er die große Treppe hinunter?« fragte der Büchsenmacher gleichgültig.
»Nein, die kleine Treppe, die in sein Arbeitskabinett führt; als ich fertig war, ging ich ihnen nach. Ich mußte ganz geschwind durch das Kabinett gehen; aber im Vorbeigehen sah ich doch eine große Landkarte auf dem Tische, eine Karte von Frankreich.«
»Und Ihr habt auf dieser Landkarte nichts Besonderes bemerkt?«
»Jawohl: drei lange Reihen Stecknadeln, die von einem Mittelpunkt nach verschiedenen Seiten hin ausliefen; es kam mir vor wie die drei Armeen, die auf verschiedenen Straßen nach der Grenze marschierten.«
»Und Ihr glaubt, der König und Euer Gehilfe hätten nicht an dem Schranke gearbeitet, sondern die Landkarte angeschaut?«
»Ja, ich weiß es ganz gewiß. Die Stecknadeln hatten nämlich Köpfe von rotem Wachs. Der König hatte eine Stecknadel mit rotem Kopf in der Hand und stocherte sich damit die Zähne. Wartet nur, das ist noch nicht alles. Es war wirklich ein Schrank da!«
»Wirklich! Wo denn?«
»Ja, wo denn? ... der Schrank war in der Mauer des inneren Korridors, der vom Alkoven des Königs zu dem Zimmer des Dauphin führt.«
»Das ist wahrhaftig merkwürdig, lieber Gamain! ... Und der Schrank war offen?«
»Da seid Ihr im Irrtum. Ich dachte: wo mag denn der Schrank sein? Da sah sich der König um und sagte zu mir: ›Gamain, ich habe Vertrauen zu dir.‹ Darauf nahm der König ein Stück von der getäfelten Wand heraus, und ich bemerkte ein rundes Loch, das ungefähr zwei Fuß im Durchmesser hatte. Als er mein Erstaunen sah, sagte er zu mir: ›Lieber Gamain, siehst du dieses Loch? Ich habe es gemacht, um Geld darin zu verstecken. Jetzt mußt du das Schloß an der eisernen Tür festmachen.‹ Nach drei Stunden – ich hatte inzwischen fleißig gearbeitet – kam der König wieder und fragte mich: ›Nun, Gamain, wie steht's?‹ – ›Fertig, Sire‹, antwortete ich, und zeigte ihm die eiserne Tür. – ›Gut, Gamain‹ sagte er. ›Du kannst mir das Geld zählen helfen, das ich in dem Wandschrank verstecken will.‹ – Dann ließ er vier Säcke mit doppelten Louisdors bringen; ich zählte eine Million und er auch; und da fünfundzwanzig Louisdor übrig blieben, sagte er: ›Dies ist für deine Bemühung, Gamain ... ist es nicht eine Schande, von einem armen Mann, der fünf Kinder hat, eine Million in blanken Louisdors zählen zu lassen und ihm dann ein Trinkgeld von fünfundzwanzig Louisdor zu geben! ...«
»Ja,« sagte der Unbekannte, »das Trinkgeld ist so groß nicht.«
Kurz darauf kam die Königin herein und brachte mir Kuchen und Wein.
Der Unbekannte wußte genug und die beiden Männer trennten sich.
13. Kapitel
Cagliostro, der in allen Klassen der Gesellschaft und selbst unter der Hofdienerschaft rätselhafte Verbindungen hatte, erfuhr schon am zweiten Tage, daß der Graf Louis von Bouillé in Paris angekommen sei, daß er von dem Marquis von Lafayette, seinem Vetter, dem König vorgestellt wurde, daß er sich gleich darauf dem Meister Gamain als Schlossergeselle vorgestellt hatte, daß er beim König leicht Zutritt gefunden, zwei Stunden vor Gamain die Tuilerien verlassen und sich zu seinem Freunde Achill von Chasteller begeben hatte und an demselben Abend mit der Extrapost nach Metz abgereist war.
Beausire war nach der Unterredung auf dem Friedhof nach Hause gekommen, wo er feststellen mußte, daß Mademoiselle Oliva verschwunden war.
Erst jetzt fiel es dem armen Beausire wieder ein, daß sich der Graf von Cagliostro geweigert hatte, mit ihm fortzugehen. Es war kaum noch zu bezweifeln: Oliva war von dem Grafen Cagliostro entführt worden! Er eilte nach der Wohnung des Grafen und fand wirklich seine Geliebte vor. Sie war wie eine Fürstin herausgeputzt und bewohnte eine ganze Zimmerflucht.
Der Graf beruhigte den unglücklichen Liebhaber mit fünfundzwanzig Louisdor und erteilte ihm sogar gütigst die Erlaubnis, Oliva nach Wunsch zu besuchen. Damit war Beausire völlig zufriedengestellt.
Alles ging also nach dem Wunsch des Grafen bis gegen Ende Dezember. Eines Morgens hörte der Doktor Gilbert um sechs Uhr früh dreimal an seine Tür klopfen.
Der Graf von Cagliostro trat ihm entgegen und begrüßte ihn lächelnd:
»Kommen Sie, lieber Gilbert, ich störe Sie fürwahr nicht umsonst. Kommen Sie mit mir mit,
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