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Die Grasharfe

Titel: Die Grasharfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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doch?"
       „Oh, ein schönes Zuhause!" sagte Verena und riß sich den Hut vom Kopf. Ihr Gesicht wurde blutrot. „Du und diese gurgelnde Idiotin. Ist es dir niemals aufgegangen, warum ich keinen Menschen in dieses Haus bitte? Aus einem sehr einfachen Grund: ich schäme mich, das zu tun. Denk bloß daran, was heute wieder los war."
       Ich konnte es hören, wie Dollys Atem stockte. „Es tut mir leid", sagte sie matt. „Wahrhafig, ich dachte immer, du brauchst uns irgendwie. Ich dachte, wir hätten hier unseren Platz. Aber das wird schon in Ordnung kommen, Verena. Wir werden weggehen."
       Verena seufzte. „Arme Dolly. Armes, armes Ding! Wohin solltest du gehen?"
       Die Antwort, die sich eine kleine Weile verzögerte, war bebend wie der Flügelschlag einer Motte: „Ich weiß einen Platz."
    Später, im Bett, wartete ich auf Dollys Gutenachtkuß. Mein Zimmer, über dem Vorbau, in einer entlegenen Ecke des Hauses, war das Zimmer gewesen, wo ihr Vater, Mr. Uriah Talbo, gelebt hatte. Alt und schon etwas geistesgestört hatte ihn Verena von der Farm hierhergebracht, und hier war er gestorben, ohne zu wissen, wo er war. Obwohl er schon zehn oder fünfzehn Jahre tot war, durchtränkte der Altmännergeruch von Tabak und Wein noch immer die Matratze und das Kämmerchen; auf einem Sims lag das einzige Besitztum, das er von der Farm mitgenommen hatte, eine kleine gelbe Trommel. Als Junge in meinem Alter war er mit einem Südstaatenregiment marschiert und hatte singend die kleine gelbe Trommel geschlagen. Dolly sagte, als kleines Mädchen sei sie an den Wintermorgen gern früh aufgewacht, um den Vater singen zu hören, wenn er reihum im Haus die Kaminfeuer schürte; als er alt geworden und dann gestorben war, hörte sie manchmal sein Singen in dem Präriegras. Wind war das, meinte Catherine, und Dolly entgegnete ihr: „Wir sind doch der Wind – er sammelt, sich erinnernd, unsere Stimmen und schickt sie wispernd und raunend durch das Laub und durch die Felder. Ich habe Papa ganz deutlich gehört."
       In solcher Nacht, nun da es September war, beugte der Herbstwind das dichte rote Gras und ließ all die verklungenen Stimmen wieder aufleben, und ich lauschte, ob auch er dort im Gras sang, der alte Mann, in dessen Bett ich lag und einschlief.
       Dann auf einmal dachte ich, Dolly sei endlich zum Gutenachtkuß gekommen, denn ich wachte auf und fühlte sie im Zimmer und nahe bei mir. Aber es war schon Morgen. Das beginnende Licht sprühte wie goldenes Laubwerk in den Fenstern auf, und von ferne prahlten die Hähne: „Schsch, Collin", wisperte Dolly und beugte sich über mich. Sie trug ein wollenes Winterkleid und einen Hut mit einem Reiseschleier, der vor ihrem Gesicht hing wie ein feiner Nebel. „Ich wollte nur, daß du weißt, wohin wir gehen."
       „In das Baumhaus?" fragte ich und glaubte, ich rede im Schlaf. Dolly nickte. „Einstweilen. Bis wir genauer wissen, was wir vorhaben." Sie merkte, daß ich mich fürchtete, und legte ihre Hand auf meine Stirn.
       „Du und Catherine – – und ich nicht?" Ein Kälteschauer schüttelte mich. „Ihr dürf nicht gehen ohne mich."
       Die Turmglocke schlug; Dolly schien den letzten Ton abwarten zu wollen, ehe sie sich entschied. Es dröhnte fünf Uhr, und als der letzte Schlag erstarb, war ich schon aus dem Bett gesprungen und fuhr in meine Kleider. Es blieb Dolly nichts anderes übrig als zu sagen: „Vergiß deinen Kamm nicht."
       Wir trafen Catherine im Hof; sie krümmte sich unter dem Gewicht einer übervollen Wachstuchtasche; ihre Augen waren geschwollen, sie hatte geweint, und Dolly, die in dem, was sie tat, sonderbar sicher und zuversichtlich war, beruhigte sie: „Es macht nichts, Catherine – wir werden deine Goldfsche kommen lassen, wenn wir wissen, wo wir bleiben." Verenas friedlich geschlossene Fenster glänzten über uns auf; vorsichtig schlichen wir unter ihnen vorbei, durchschritten lautlos das Gartentor. Ein Foxterrier bellte uns an; aber niemand war auf den Straßen, und niemand sah uns auf dem Weg durch die Stadt, außer einem schlafosen Gefangenen, der durch die Gitter seiner Zelle schaute. Wir erreichten das Feld mit dem Präriegras gerade, als die Sonne aufging. Dollys Schleier fatterte im Morgenwind, und ein Fasanenpärchen, das an unserem Weg nistete, strich stracks mit metallischen Schwingen aus dem scharlachfarbenen Gras auf, das wie ein Hahnenkamm glühte. Der Paternosterbaum war jetzt, im September, eine Höhle, voll von

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