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Die Grasharfe

Titel: Die Grasharfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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Grün und grünlichem Gold. „Gehen fallen, gehen Köpfe zerschlagen", raunte Catherine, als der Tau von den Blättern auf uns tropfe.

II

    W enn es Riley Henderson nicht bekannt gewesen wäre, bezweife ich, ob irgend jemand erfahren hätte, mindestens so bald, daß wir im Baum saßen.
       Catherine hatte in ihre Wachstuchtasche die Reste des Sonntagsessens gepackt, und wir schlemmten ein Frühstück von Kuchen und Huhn, als Gewehrschüsse durch den Wald klatschten. Wir fuhren auf, und der Kuchen blieb uns im Halse stecken. Unten sahen wir einen finken Hühnerhund vorbeirennen, dem Riley Henderson folgte; er trug über die Schulter ein Gewehr, und um seinen Nacken hing eine Girlande von blutenden Eichhörnchen, deren Schwänze ineinander geknotet waren. Dolly ließ ihren Schleier herab, als wollte sie sich zwischen den Blättern unsichtbar machen.
       Unweit von uns hielt er an, und sein kluges, sonnengebräuntes Gesicht spannte sich; er brachte das Gewehr auf irgendein umherstreifendes Ziel in Anschlag, als erwartete er, daß sich eine Schießscheibe darbieten würde. Die Spannung wurde für Catherine unerträglich, und sie schrie: „Riley Henderson, wag's nicht, auf uns zu schießen!"
       Das Gewehr schwankte, und er spähte in die Runde; die Eichkätzchen schwangen um ihn wie eine lose Halskette. Dann erblickte er uns und rief nach einem Augenblick: „Hallo, ihr dort, Catherine Creek, hallo, Miß Talbo. Was macht ihr Leute da oben? Jagt ihr Wildkatzen?"
       „Nichts wie sitzen", sagte Dolly schnell, als fürchte sie, daß Catherine oder ich antworten könnten. „Das ist ein schönes Gericht Eichhörnchen, das du da hast."
       „Nimm ein Paar", erwiderte er und löste zwei heraus. „Wir hatten gestern welche zum Abendessen, und sie waren wirklich zart. Einen Augenblick, ich bring sie dir hinauf."
       „Du brauchst das nicht zu tun. Laß sie lieber unten auf der Erde." Aber er meinte, die Ameisen würden über sie herfallen, und zog sich den Baum hinauf. Sein blaues Hemd war besprenkelt von Eichhörnchenblut, und Blutfecke schimmerten auch in seinem borstigen, lederfarbenen Haar, er roch nach Schießpulver, und sein vertrautes, wohlgeformtes Gesicht war braun wie Zimt. „Gottverdammt, das ist ein Baumhaus", rief er und stampfe mit dem Fuß, als wolle er die Stärke der Planken erproben. Catherine ermahnte ihn, es sei zwar jetzt noch ein Baumhaus, aber es würde nicht lang eins bleiben, wenn er so darauf herumstampfe. Er fragte: „Hast du es gebaut, Collin?" und es wurde mir in süßem Schrecken bewußt, daß er meinen Namen kannte – ich hätte nicht gedacht, daß Riley Henderson mich vom Staube unterschied. Aber ich, ich kannte ihn.
       Über keinen in unserer Stadt wurde so viel gesprochen wie über Riley Henderson. Ältere Leute sprachen mit Seufzern von ihm, und die seinem Alter näher kamen als ich, freuten sich, ihn als hart und gemein zu bezeichnen, weil er uns nur den Neid auf sich übrigließ, weil er nicht gestattete, ihn zu lieben und sein Freund zu sein.
       Jedermann hätte die näheren Umstände von ihm erzählen können. Er wurde in China geboren, wo sein Vater, ein Missionar, bei einem Aufstand getötet worden war. Seine Mutter stammte aus unserer Stadt und hieß Rose; ich selbst habe sie niemals gesehen, aber die Leute sagten, daß sie eine schöne Frau gewesen war, ehe sie anfng, eine Brille zu tragen. Reich war sie auch, da sie ein großes Vermögen von ihrem Großvater geerbt hatte. Als sie von China zurückkam, brachte sie den fünfährigen Riley mit und zwei jüngere Kinder, beides Mädchen. Sie lebten mit ihrem unverheirateten Bruder, dem Friedensrichter Horace Holton, zusammen, einem feischigen, zimperlichen Mann mit quittengelber Haut. Mit den Jahren wurde Rose Henderson wunderlich in ihrem Tun und Treiben; sie drohte Verena mit dem Gericht, weil sie ihr ein Kleid verkauf habe, das in der Wäsche eingegangen sei; sie ließ Riley einmal zur Strafe auf einem Bein um den Hof hüpfen, wobei er das Einmaleins aufsagen mußte; andererseits ließ sie ihn wild und frei herumrennen, und als der Pfarrer der Presbytergemeinde sie deshalb zur Rede stellte, erklärte sie, sie hasse ihre Kinder und wünschte, sie wären tot. Und sie mußte es auch wirklich so gemeint haben, denn an einem Weihnachtsmorgen schloß sie die Badezimmertür ab und versuchte, ihre beiden kleinen Mädchen in der Wanne zu ertränken. Man erzählte, daß Riley die Tür mit einem Beil aufrach, was

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