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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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konnte einen ganzen Schrank voller Kleider haben, wie eine Königin, wenn sie wollte. Aber vielleicht würde ihn der Kobold ja auch zu einer Feuergoldader führen, und dann würden die Vorsteher der Funderlingszünfte bald vor Cherts Tür stehen, die Mütze in der Hand, und ihn um Hilfe anbetteln. Selbst sein ach so stolzer Bruder ...
    Der Sack zappelte und kippte um. Etwas darin fauchte wütend.
    Natürlich kann es auch einen Grund haben,
dachte er,
daß sie dieses Etwas über die Schattengrenze geschafft und weggeworfen haben, so wie man Knochen auf den Misthaufen wirft. Vielleicht ist es ja etwas sehr Unangenehmes.
    Jetzt kamen noch seltsamere Laute aus dem Sack.
    »Oh, Chert.« Die Stimme seiner Frau klang auf einmal anders. »Da ist ein Kind drin! Hör doch — es weint!«
    Er rührte sich immer noch nicht. Jedermann wußte, daß es selbst diesseits der Schattengrenze böse Kobolde und Geister gab, die Stimmen nachahmten, um Wanderer vom Weg abzubringen und ins sichere Verderben zu locken. Warum also einem Etwas, das aus dem Inneren des Schattenlands kam, Besseres zutrauen?
    »Willst du denn nichts tun?«
    »Was denn? Wir wissen doch nicht, was für ein Dämon da drin steckt, Weib.«
    »Das ist kein Dämon, das ist ein Kind — und wenn du dich nicht traust, es herauszulassen, Chert Blauquarz, dann tue ich es.«
    Diesen Ton kannte er nur zu gut. Er murmelte ein Gebet zu den Göttern der Tiefe und näherte sich dann dem Sack, als handelte es sich um eine zusammengerollte Giftschlange, setzte die Füße ganz vorsichtig, damit das zappelnde Ding nicht gegen ihn rollte und ihn womöglich biß. Der Sack war mit einem grauen Strick zugebunden. Vorsichtig berührte er den Knoten: Der Strick war so glatt wie polierter Speckstein.
    »Beeil dich, Alter.«
    Er funkelte sie wütend an, pulte vorsichtig an dem Knoten herum und wünschte sich, er hätte etwas Schärferes dabei als nur sein altes, vom Steineausgraben stumpfes Messer. Trotz der Nebelkühle standen ihm Schweißperlen auf der Stirn, als er es endlich schaffte, den Knoten zu lösen. Der Sack lag schon eine ganze Weile stumm und reglos da. Er fragte sich, halb darauf hoffend, ob das Wesen darin wohl erstickt war.
    »Was ist drin?« rief seine Frau, aber ehe er ihr erklären konnte, daß er das verdammte Ding noch nicht mal richtig offen hatte, schoß etwas aus dem Sack wie ein Stein aus einer Muskete und warf ihn um.
    Chert wollte schreien, aber das Etwas umkrallte mit feuchten Händen seinen Hals und versuchte, ihn durch das dicke Wams in die Brust zu beißen. Er war so damit beschäftigt, um sein Leben zu kämpfen, daß er gar nicht registrierte, wie sein Widersacher aussah, bis sich plötzlich eine dritte Gestalt ins Getümmel warf und das Würgemonster von ihm herunterzerrte, dabei aber selbst auf ihn plumpste.
    »Bist du ... verletzt ...?« fragte Opalia.
    »Wo ist dieses Ungeheuer?« Chert schaffte es, sich halb aufzurichten. Der Inhalt des Sacks kauerte ein Stückchen weiter am Boden und starrte ihn mit zusammengekniffenen blauen Augen an. Es war ein schmalgliedriger Junge von fünf oder sechs Jahren, verschwitzt und zerzaust. Seine Haut war leichenblaß und sein Haar fast weiß, als hätte er schon seit Jahren in dem Sack gesteckt.
    Opalia setzte sich auf. »Ein Kind! Ich hab's doch gesagt.« Sie musterte den Jungen. »Einer von den Großwüchsigen. Armes Kerlchen.«
    »Armes Kerlchen?« Chert betastete vorsichtig die Kratzer an seinem Hals und auf seinen Wangen. »Das kleine Biest wollte mich umbringen.«
    »Ach, sei still. Du hast ihn erschreckt, das ist alles.« Sie streckte die Hand nach dem Jungen aus. »Komm her — ich tu dir nichts. Wie heißt du, Kleiner?« Als der Junge nicht antwortete, kramte sie in den weiten Taschen ihres Kleids und förderte einen dunklen Brotkanten zutage. »Hast du Hunger?«
    Nach dem Glitzern in seinen Augen zu urteilen, war der Junge höchst interessiert, aber er kam dennoch keinen Zoll näher. Opalia beugte sich vor und legte das Brot ins Gras. Er musterte erst den Kanten, dann sie, grabschte sich dann das Brot, stopfte es sich in den Mund und schlang es, ohne sich lange mit Kauen aufzuhalten, hinunter. Als der Kanten weg war, sah der Junge Opalia gierig an. Sie lachte bedauernd und suchte in ihren Taschen herum, bis sie ein paar Stücke Dörrobst fand, die sie ebenfalls ins Gras legte. Sie verschwanden noch schneller als das Brot.
    »Wie heißt du?« fragte sie den Jungen.
    Er forschte mit der Zunge im Mund herum, ob

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