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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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immer noch so aufreizend war, daß es weh tat, schien sie abgenommen zu haben. Ihr Gesicht war schmaler, als er es in Erinnerung hatte, aber ihr Hüftschwung war unverändert.
    Er stand auf, als sie die Mitte des Burghofs erreichte. Sie bemerkte ihn, sah noch mal hin, blieb stehen. »Prinz Barrick?« Sie schlug sich die Hand vor den Mund, als ihr aufging, daß sie keinen Knicks gemacht hatte, und holte das Versäumte rasch nach.
    »Guten Tag, Selia.« Die Dienerin seiner Stiefmutter stand mehrere Schritt entfernt — eine unglückliche Distanz, zu weit für eine normale Unterhaltung. Er wünschte, sie würde näher kommen. Vielleicht traute sie sich ja nicht, aus Angst, ihn zu stören. »Bitte, setz dich doch einen Moment zu mir. Die Sonne ist heute wirklich herrlich, was?« Na bitte, dachte er befriedigt. Nicht einmal der berühmte Barde Gregor von Syan fände einer Dame gegenüber feinsinnigere Worte.
    »Wenn Eure Hoheit sicher sind ...« Sie näherte sich langsam, wie ein Reh, das bereit ist, beim kleinsten Geräusch davonzujagen. Im schmaler gewordenen Gesicht wirkten ihre Augen noch größer, und er konnte unter dem Puder dunkle Ringe erkennen. Jetzt erst fiel Barrick ein, was Chaven über sie gesagt hatte.
    »Du warst krank. Du hattest dasselbe wie ich.«
    Sie sah ihn an. »Ich hatte Fieber, ja? Aber Eure Hoheit waren gewiß kränker als ich.«
    Er winkte in wahrhaft aristokratischer Manier ab: der Vergleich verbot sich. Auch diese Geste befriedigte ihn, und das Mädchen schien ebenfalls beeindruckt. »Wie fühlst du dich jetzt?«
    Sie sah auf ihre Hände. »Immer noch ein wenig ... seltsam, glaube ich. Als ob die Welt nicht so ist, wie sie sein soll. Ja? Versteht Ihr?«
    »Ja, das verstehe ich.« Obwohl seine Wahrnehmung fast ganz von ihr beansprucht war — er hatte das Gefühl, vor ihrem hellen Hals jedes einzelne Haar zu erkennen, das unter ihrer Haube hervorkam, im Nu und ohne jede Mühe all die dunkelglänzenden Strähnen zählen zu können —, fühlte er sich doch ein bißchen seltsam, so als hätte er zu lange in der Sonne gesessen. Er sah auf, weil er das deutliche Gefühl hatte, daß ihn — so unwahrscheinlich das auch sein mochte — von einem der Dächer jemand beobachtete, konnte aber nichts Ungewöhnliches entdecken.
    »Oh! Wißt Ihr genau, daß Ihr wieder gesund seid, Prinz Barrick?«
    Er nickte, holte tief Luft. »Ja, ich glaube schon. Aber manchmal fühle ich mich auch so. Als ob die Welt nicht ganz so ist, wie sie sein sollte.«
    Ihr Gesicht war ernst. »Es macht Angst, dieses Gefühl, ja? Mir jedenfalls. Eure Stiefmutter denkt, ich höre ihr nicht zu, aber ich werde nur manchmal ... verwirrt.«
    »Das wird schon wieder besser«, sagte er, ohne diese Aussage durch irgend etwas anderes rechtfertigen zu können als durch den Wunsch, einer hübschen jungen Frau etwas Beruhigendes zu sagen. »Wie alt bist du, Selia?«
    »Siebzehn Jahre habe ich.«
    Barrick runzelte die Stirn. Wenn er doch nur älter wäre — ein Mädchen, das zwei volle Jahre älter war als er, interessierte sich doch gewiß nur deshalb für ihn, weil er der Prinz von Südmark war. Andererseits schien sie im Moment ganz zufrieden: Sicher, jede käme, wenn der Prinzregent es befahl, aber sie schien es nicht eilig zu haben, wieder zu gehen. Versuchsweise nahm er ihre Hand. Sie sträubte sich nicht. Ihre Haut war überraschend kühl. »Bist du sicher, daß du schon wieder aufstehen kannst?« fragte er. »Du fühlst dich so kalt an.«
    »Oh, ja. Aber manchmal ist mir auch sehr, sehr warm«, sagte sie mit einem leisen Lachen. »Manchmal kann ich nicht einmal die Bettdecken auf mir haben, auch wenn die Nacht kalt ist, und meine Kleider sind mir beim Schlafen zu warm, und ich muß sie ausziehen.« Jetzt hatte Barrick ein Vorstellungsbild, das die Konzentration noch mehr zu erschweren drohte. »Eure Stiefmutter, sie schimpft sehr viel mit mir, weil ich schlecht schlafe.« Sie senkte den Blick und ihre Augen weiteten sich. »Prinz Barrick, Ihr haltet meine Hand.«
    Er ließ sie schuldbewußt los, sicher, daß sie es nur seiner hohen Stellung wegen geduldet hatte. Er hatte es immer verabscheut, wenn Männer ihre Macht einsetzten, um sich Frauen gefügig zu machen, hatte empört mit angesehen, wie Gailon Tolly und andere Edelleute, ja selbst sein eigener Bruder, Dienstmägde benutzten. Er erinnerte sich jetzt nicht ohne Schmerz, daß er erst vor ein paar Monaten mit Kendrick wegen einer solchen Sache Streit angefangen hatte: Es war um

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