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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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Das ist alles.«
    Er war seltsam gerührt ob ihrer Besorgnis, aber auch wütend. Seine Zwillingsschwester hielt ihn für hilflos und wehrlos. Ebensogut könnte sie ihn einfältig nennen — oder gar schwach. »Bleib du gefälligst auch außerhalb meines Panzers, Briony. Es ist schließlich meiner.« Es kam etwas barscher heraus als beabsichtigt, aber er war wütend genug, um es dabei zu belassen.
    Sie starrte ihn an. Es schien, als wollte sie noch etwas dazu sagen, sich womöglich noch einmal entschuldigen, aber dann war der Moment vorbei. »Jedenfalls«, sagte sie resolut, »haben wir andere Dinge zu besprechen. Und eines dieser Dinge führt mich hierher — Vaters Brief.«
    »Wir haben noch einen Brief bekommen?« Wie immer erfüllte es ihn mit Freude und Angst.
Wie wird es sein, wenn er zurückkehrt?
Ein Schauer überlief ihn.
Und wenn er nicht zurückkehrt? Was dann? Ganz allein ...
    »Nein, kein neuer Brief — der letzte.«
    Es dauerte einen Moment, bis er verstand. »Du meinst den, den der hierosolinische Gesandte überbracht hat. Dieser Tuani. Dein ... Freund.«
    Sie ließ sich durch seinen hämischen Ton nicht provozieren. »Ja, dieser Brief. Wo ist er?«
    »Wie meinst du das?«
    »Wo ist er, Barrick? Ich habe ihn nicht gelesen — du? Ich glaube kaum. Und auch nicht Brone oder Nynor oder sonst jemand, von dem ich wüßte. Der einzige, der ihn mit eigenen Augen gesehen hat, war Kendrick. Und jetzt ist er verschwunden.«
    »Er muß bei den Papieren sein, die in Kendricks Gemach lagen. Oder in seinem Sekretär, dem mit den Erivor-Schnitzereien. Oder Nynor hat ihn bei seinen Abrechnungen liegen und weiß es nicht.« Seine Miene verdüsterte sich. »Oder aber jemand belügt uns.«
    »Bei Kendricks Sachen ist er nicht. Dort habe ich nachgesehen. Da liegen jede Menge andere Dinge, mit denen wir uns befassen müssen, aber kein Brief von Vater.«
    »Aber wo kann er dann geblieben sein?«
    Briony schüttelte grimmig den Kopf — einen Moment lang sah er die Kriegerkönigin, die sie vielleicht einmal sein würde, und war traurig, daß er es nicht mitkriegen würde; Liebe, Stolz und Zorn vermengten sich in seinem Inneren, wirbelten durcheinander wie die Wolken, die jetzt über ihnen heranzogen. »Gestohlen — womöglich von seinem Mörder«, sagte sie. »Vielleicht stand ja etwas darin, was wir nicht lesen sollten. Ja, ganz sicher sogar.«
    Barrick überschwemmte eine Woge der Angst. Plötzlich schien der wolkenverdüsterte Burghof ein ungeschützter Ort, ein gefährlicher Ort, und er wußte jetzt, warum Eidechsen beim kleinsten Geräusch so blitzschnell in ihre Ritzen zurückhuschten — aber gleich darauf wurde ihm klar, daß das Geheimnis seines Vaters, sein eigenes Geheimnis, nichts war, was König Olin einem Brief anvertrauen würde, nicht einmal einem Brief an seinen ältesten Sohn. Dennoch, schon der flüchtige Gedanke war schrecklich gewesen.
    »Also, was sollen wir tun?« fragte er. Der Tag war ihm vergällt.
    »Diesen Brief suchen. Wir müssen ihn finden.«

    Sie kam mitten in der Nacht zu ihm, kroch unter den schweren Mantel und preßte sich an ihn. Im ersten Moment hielt er es für einen Teil seines Traums und zog sie an sich, nannte sie bei einem Namen, von dem er wußte, daß er ihn nicht einmal im Halbschlaf aussprechen durfte, aber dann spürte er ihr Zittern, roch den Rauch und die Feuchtigkeit in ihren Kleidern und war schlagartig wach.
    »Was machst du da?« Vansen wollte sich aufsetzen, aber sie klammerte sich an ihn. »Was soll das, Mädchen?«
    Sie drückte den Kopf an seine Brust. »Kalt«, jammerte sie. »Halt mich.«
    Vom Feuer waren jetzt nur noch Glutstückchen übrig. Ein paar Pferde bewegten sich ruhelos an ihren Pflöcken, aber von den anderen Männern rührte sich keiner. Das Mädchen schmiegte den harten, mageren Körper an ihn, verzweifelt auf der Suche nach Trost, und wegen seiner Einsamkeit und Angst war die Versuchung einen Moment lang groß. Doch Vansen dachte an ihr Gesicht, das Gesicht eines verängstigten Kindes, an die Panik in ihren Augen, wie bei einem verletzten Tier, das man in ein Dickicht getrieben hatte. Er riß sich los, setzte sich auf, wickelte sie in seinen Mantel und zog sie an sich, nutzte den schweren Wollstoff, um ihre Arme festzuklemmen. Schließlich konnte sie sich nicht ewig so blind und begierig an ihm reiben, ohne daß seine Vorsätze bröseln würden wie eine Wand aus Sand. »Du bist in Sicherheit«, erklärte er ihr. »Hab keine Angst. Hier bist du sicher.

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