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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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Lager kaum rohe Scherze laut wurden, obwohl sie noch jung und unter dem Dreck sogar ganz hübsch war. Sie hielten sie an den Armen fest, obwohl sie gar nicht auf Flucht aus zu sein schien. In ihrem dunkeläugigen Gesicht war keine Furcht, sondern nur Leere, momentweise durchbrochen von Verwirrung und noch etwas anderem, das fast wie das Aufblitzen heimlicher Belustigung wirkte.
    »Ist da draußen herumgeirrt«, erklärte einer ihrer Bewacher. »Hat einfach nur in den Himmel und in die Baumkronen gestarrt.«
    »Sie redet unsinniges Zeug«, sagte der andere Soldat. »Meint Ihr, sie ist verletzt? Oder ist es das Fieber?« Er guckte plötzlich ängstlich, ließ das Mädchen los und starrte auf seine Hand, als trüge sie vielleicht schon irgendein Krankheitsmal, so sichtbar wie ein Fleck, Es hatte Gerüchte über das Fieber gegeben, das Prinz Barrick befallen und, wenngleich sein Leben verschont geblieben war, doch etliche alte Leute und mehrere Kleinkinder in der Stadt dahingerafft hatte.
    »Laßt sie hier bei mir.« Vansen führte das Mädchen in dem zerrissenen groben Kleid vom Feuer weg, aber nicht so weit, daß ihn die Männer nicht mehr sehen konnten, weniger aus Sorge, was sie ihm unterstellen könnten, denn aus Rücksicht auf ihrer aller Gemütszustand — das Gefühl, in einer fremden Gegend gestrandet zu sein, statt einfach nur an einer vertrauten markenländischen Straße am Nordrand von Silverhalden zu kampieren.
    Sie sah aus, als lebte sie schon eine ganze Weile im Freien. Das verfilzte Haar und der Dreck auf Gesicht und Händen machten die Bestimmung ihres Alters schwer: Sie konnte noch ein halbes Kind sein, ebensogut aber etwa so alt wie er.
    »Wie heißt du?«
    Sie sah ihn kalkulierend an, wie eine Händlerin, der man eine lachhaft geringe Summe geboten hat, die aber vermutet, daß durch Handeln mehr herauszuholen ist. »Fläuschchen«, sagte sie schließlich.
    »Fläuschchen!« Er lachte verdutzt. »Was ist denn das für ein Name?«
    »Ein guter Name für eine Katze, Herr«, erklärte sie. »Und es war immer eine brave Katze, mein Fläuschchen, bis sich das Wetter geändert hat.« Sie sprach den Dialekt der Gegend, der gar nicht so anders war als der, mit dem Vansen aufgewachsen war. »Die beste Mäusefängerin im ganzen Land, bis sich das Wetter geändert hat. Und so sanft wie Suppe.«
    Vansen schüttelte den Kopf. »Aber wie heißt du?«
    Ihre Hände lagen im Schoß, zupften an losen Fäden ihres Wollkleids. »Ich hab immer Angst vor dem Donner gehabt«, murmelte das Mädchen. »Wie ich noch klein war ...«
    »Hast du Hunger?«
    Sie zitterte jetzt plötzlich wie von Fieber. »Aber warum glühen ihre Augen so?« Sie stöhnte leise. »Sie singen von Freundschaft, aber ihre Augen sind wie Feuer!«
    Es hatte keinen Sinn, mit ihr zu reden. Er legte ihr seinen Mantel um, ging zum Feuer, schöpfte mit seinem Hornbecher Suppe und brachte sie ihr. Sie nahm den Becher vorsichtig, hielt ihn und schien die Wärme zu genießen, aber nicht zu begreifen, was sie damit tun sollte. Vansen nahm ihr den Becher aus den Händen, hielt ihn ihr an die Lippen und flößte ihr kleine Schlucke ein, bis sie schließlich selbst trank.
    Es tat wohl, jemandem etwas Gutes tun zu können, merkte er, als er ihr beim Trinken zusah. Sie streckte ihm den Becher hin, und er lächelte und ging noch mehr Suppe holen. Zum erstenmal an diesem beklemmenden Tag, und obwohl die Rätsel eher größer als kleiner wurden, war er beinah zufrieden.

    Die Wolken hatten sich ostwärts verzogen. Eine weitere Wolkenflotte wartete überm Meer, aber im Moment lag die Hauptburg der Südmarksfeste in schwacher, aber heller Sonne. Barrick fand ein Plätzchen, wo gar kein Schatten war. Während er Wärme in sich aufsog, fühlte er sich wie eine Eidechse, die gerade aus einer dunklen, feuchtkalten Spalte gekrochen war. Die Sonne strahlte, und erstmals seit Tagen hätte ein Fremder gemerkt, daß die vom Regen frisch gewaschenen Türme der Hauptburg alle verschiedene Farben hatten, vom alten rußfarbenen Stein des Wolfszahnturms über das kupfergrüne Dach des Frühlingsturms, die weiß-roten Ziegel des Herbstturms und die goldenen Ornamente des Sommerturms bis hin zum grauen Stein und schwarzen Schmiedeeisen des Winterturms. Sie hätten zu einem gigantischen Blumenstrauß gehören können.
    Briony war noch drinnen; ihr täglicher Unterricht bei Schwester Utta näherte sich gerade dem Ende. Barrick verstand nicht ganz, was es denn noch zu lernen gab, wenn man

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