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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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Wir sind Soldaten des Königs.«
    »Vater?« Es klang heiser und verwirrt.
    »Ich bin nicht dein Vater. Ich heiße Ferras Vansen. Wir haben dich im Wald gefunden — weißt du nicht mehr?«
    Da waren Tränen auf ihren Wangen; er spürte sie, als sie das Gesicht an seinem Hals rieb. »Wo ist er? Wo ist mein Vater? Und wo ist Collum?«
    Zuerst dachte er, sie meinte Saddler, aber Collum war in den Markenlanden ein ziemlich gebräuchlicher Vorname — vermutlich ihr Bruder oder Liebster. »Ich weiß nicht. Wie heißt du? Weißt du noch, wie es kam, daß du dort im Wald umhergewandert bist?«
    »Leise! Sonst hören sie dich. Nachts, wenn der Mond hoch steht, darf man nur flüstern.«
    »Wer? Wer hört mich?«
    »Willow, die Schafe sind weg. Das hat er gesagt. Ich bin rausgerannt, und der Mond hat geleuchtet, so hell! Wie Augen.«
    »Willow? Ist das dein Name?«
    Sie vergrub das Gesicht wieder an seiner Brust, kämpfte unter dem schweren Mantel darum, sich so eng wie möglich an ihn zu schmiegen. Ihre Bedürftigkeit war so erschreckend und so mitleiderregend, daß auch seine letzten lüsternen Gedanken erstarben. Sie war wie ein Hunde- oder Katzenjunges, das neben seiner toten Mutter lag und den bereits erkalteten Körper mit der Nase stupste.
    Was ist mit ihrem Vater passiert? Und mit diesem Collum?
»Wie bist du dort in den Wald gekommen, Willow? So heißt du doch, oder? Wie bist du in den Wald gekommen?«
    Ihr blindes Drängen ließ nach, aber nicht weil sich ihre Angst gelegt hatte, sondern vor Erschöpfung vom Kampf gegen den schweren Mantel. »Aber ich bin nicht dort hingekommen«, sagte sie langsam und hob das Gesicht. Im Mondlicht schien das Dunkle ihrer Augen geschrumpft, nur noch zwei winzige Punkte inmitten von lauter Weiß. »Weißt du denn nicht? Der Wald ist zu mir gekommen. Er ... hat mich verschluckt.«
    Diesen Blick hatte Ferras Vansen schon einmal gesehen, und es durchfuhr ihn wie eine Messerklinge. Der irre Alte in dem Dorf, wo er vor so langer Zeit aufgewachsen war, der hatte solche Augen gehabt — der alte Mann, der die Schattengrenze überquert hatte und wieder zurückgekehrt war ...
    Aber es sind noch so viele Meilen bis zu der Stelle, wo der Handelszug überfallen wurde,
wurde ihm bewußt. Die nickenden schwarzen Blumen, das verlassene Dorf ...
Bei den Göttern, es breitet sich rasend schnell aus.

18

Ein Gast weniger
    Kaninchenmaske:
Der Tag ist vorbei,
Schatten im Nest.

Wo sind die Kinder?
Sie stieben in alle Richtungen davon.

Das Knochenorakel
    Das Leben, dachte Chert, war so ein verrückter Kuddelmuddel, daß man sich am liebsten auf den Boden legen, die Augen zumachen und ein Blindwurm werden wollte. Blindwürmer mußten sich ja wohl nicht mit solchem Unsinn befassen?
    »Glimmer! Felsriß und Firstenbruch, weißt du mit deiner und meiner Zeit nichts Besseres anzufangen, als hier herumzulamentieren?«
    Hornblendes Neffe sah sich nach seinem Bruder um. Sie konnten zwar einzeln schon schwierig genug sein, aber einer allein war doch nicht so leicht bereit, einen handfesten Streit vom Zaun zu brechen. »Es ist nicht recht, hier zu graben, Chert. Es ist zu tief drunten, zu nah an den Mysterien. Wenn der Stollen irgendwo zur nächsten Sohle durchbricht, landen sie genau da, wo sie nicht hin sollen!«
    »Es ist nicht an dir, das zu entscheiden. Die Leute des Königs wollen, daß wir dieses Stollensystem erweitern, und genau das werden wir tun. Zinnober und die anderen Zunftmeister haben die Pläne gebilligt.«
    Glimmer sah ihn finster an. »Aber sie waren nicht hier. Die meisten von ihnen haben seit Jahren nicht mehr im Fels gearbeitet, und daß einer von ihnen hier war, ist noch länger her.« Sein Gesicht hellte sich auf, da sein Bruder nahte. »Sag's ihm.«
    »Was soll er mir sagen?« Chert holte tief Luft. Es waren seltsame Tage gewesen seit jenem bizarren Miniatur-Schaugepränge auf dem Burgdach; sein Kopf war so voll von verwirrenden Gedanken und Fragen, daß er sich kaum auf die Arbeit konzentrieren konnte. Genau das war das Problem — Hornblendes Neffen und die übrigen Männer bedurften seiner steten Aufsicht. Funderlingen fiel es immer schwer, so nah beim Palast und der königlichen Gruft zu arbeiten — da waren Aberglaube und Groll nie fern —, aber daß sie jetzt ihren eigenen heiligen Stätten immer näher kamen, war noch problematischer. Er konnte es sich nicht leisten, nur mit halber Aufmerksamkeit bei der Arbeit zu sein.
    »Daß wir vor den Zunftrat wollen«, sagte Glimmers

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