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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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bereits regierte — schließlich konnte man doch nicht wie ein Kerzenzieherlehrling oder ein Knappe nach Höheren streben, oder? Er hatte seine Ausbildung, bis auf das Fechten und die Kriegskunst, beendet und konnte sich nicht vorstellen, was er noch brauchen sollte. Er konnte lesen und schreiben (wenn auch nicht ganz so flüssig wie Briony). Er konnte reiten und sich auf der Jagd und Beizjagd behaupten, soweit es sein verkrüppelter Arm zuließ, und er kannte die Wappensymbole von mindestens hundert Familien — was, wie ihm der alte Vogt Steffans Nynor erklärt hatte, im Krieg sehr wichtig war, damit man wußte, welchen Gegner man am besten gefangennahm, um Lösegeld zu fordern. Er wußte eine Menge über seine eigene Familie, angefangen bei Anglin dem Großen, ziemlich viel über die Geschichte der Markenreiche, einiges über die übrigen Länder Eions und genug von den Geschichten über das Trigon und die anderen Götter, um, wenn er denn aufpaßte, einigermaßen verstehen zu können, was Vater Timoid sagte.
    Natürlich wußte er nicht alles: Wenn er Briony Gericht halten sah, so voller Meinungen und Leidenschaft in Dingen, die ihm kaum von Bedeutung schienen, fühlte er sich schon fast ausgeschlossen. Seine Schwester konnte das Verhandlungsgeschehen um eine volle Stunde unterbrechen, nur um mit den verschiedenen Rechtsgelehrten über irgendeine winzige Gerechtigkeitsfrage zu debattieren, die ihr wichtig schien, so daß sich Dutzende von Bittstellern grollend damit abfinden mußten, daß ihre Angelegenheit vertagt wurde. »Besser späte Gerechtigkeit als gar keine«, rechtfertigte sie diese Torheit.
    Er fragte sich, ob er vor einem halben Jahr auch noch so gewissenhaft gewesen wäre — nicht bei den Gerichtssitzungen, die hatten ihn immer schon ungemein gelangweilt, aber wenn es darum ging, dem Überfall auf den Handelszug nachzugehen oder auch nur Shasos Schuld eindeutig festzustellen. In der ersten Zeit der Regentschaft seines Bruders Kendrick war Barrick voller Ideen gewesen, was er anstelle seines Bruders täte, was er alles besser machen würde. Jetzt war er an Kendricks Stelle, aber an den meisten Tagen, nach einer weiteren albtraumgeplagten Nacht, brachte er kaum die Energie auf, in den Burghof zu gehen und sich in die Sonne zu setzen.
    Natürlich waren es die Träume und die Last seiner schrecklichen Geheimnisse, die ihn hinderten — von dem Fieber, das ihn beinah umgebracht hätte, ganz zu schweigen. Das verstand doch wohl jeder? Er wäre um ein Haar gestorben, aber manchmal schien es, als würde es niemanden kümmern, wenn er tot wäre.
Nicht einmal Briony ...
    Nein,
sagte er sich.
Das ist eine boshafte Stimme, Das ist nicht wahr.
Und das war ein weiteres Problem: Irgendwie war das Fieber nicht ganz verschwunden. Er war schlafgewandelt und von bösen Träumen geplagt worden, so lange er denken konnte, auch schon vor jener Nacht, die alles zum Schlimmsten gewendet hatte — in seiner Kindheit hatte man ihn sogar ein—, zweimal morgens außerhalb des Palastes gefunden, zitternd und durcheinander. Doch jetzt war sein unruhiger Schlaf fast jede Nacht voller unheimlicher Wesen mit Schattenhänden und Glutaugen, und selbst bei Tag schienen sie ihn nie ganz zu verlassen. Und außerdem schienen sich die Träume in seinem Kopf festzusetzen und zu ihm zu sprechen, ihm Dinge einzuflüstern, die er normalerweise nicht glaubte und ganz bestimmt nicht glauben wollte — daß alle um ihn herum falsch waren, daß sie hinter seinem Rücken flüsterten, daß die Burg voller getarnter Feinde war, die nach und nach die Körper all derer, die er kannte, übernommen hatten und nur warteten, bis sie unbezwingbar viele waren, ehe sie ... ehe sie ...
    Ehe sie was?
Er richtete sich auf, plötzlich an jedem Muskel zitternd.
Vielleicht ist es ja alles Wirklichkeit!
Trotz der strahlenden Sonne, trotz der angenehmen Wärme des Steins, die er durch seine Wollhosen spürte, mußte er die Arme vor der Brust verschränken, bis das Zittern nachließ. Das war natürlich ein Überbleibsel seiner Krankheit, nichts weiter, genau wie die seltsamen Gedanken, die Stimmen, die ihn plagten. Briony war immer noch Briony, seine geliebte andere Hälfte, nicht von ihm zu trennen, und die Menschen und Dinge um ihn herum hatten sich nicht verändert. Es war nur das Fieber. Da war er sich sicher. Fast sicher.
    Trotz der Gedanken, die ihn Umtrieben, erkannte er die junge Frau schon von fern an ihrem Gang. Obwohl ihre Figur in dem meergrünen Kleid

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