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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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Bruder Talk. Er war der ältere und vernünftigere der beiden. »Wir wollen gehört werden.«
    »Gehört werden! Das wollt ihr jungen Leute immer — gehört werden! Und was wollt ihr sagen, was gehört werden soll? Daß ihr euch schlecht behandelt fühlt. Daß ihr zu schwer arbeiten müßt. Daß das, was von euch verlangt wird, unbillig ist oder unzumutbar oder ... sonst was.« Chert holte wieder tief Luft. »Meint ihr, euer Onkel und ich hätten je so viele Fragen stellen können? Wir haben gemacht, was wir an Arbeit gekriegt haben, und waren dankbar dafür.« Da seine eigene Lehrzeit in die letzten Jahre der Grauen Scharen gefallen war, dachte Chert im stillen — da die Großwüchsigen damals voller Angst gewesen waren und es kaum Arbeit gegeben hatte, nicht einmal für tüchtige Funderlingshandwerker. Hunderte, wenn nicht gar Tausende hatten die Heimat ihrer Vorfahren unter der Südmarksfeste verlassen, um Arbeit zu suchen, und waren nie zurückgekehrt, sondern hatten sich an allen möglichen Orten im mittleren und südlichen Eion niedergelassen, wo die Leute vorher ihre Steinarbeiten selbst hatten machen müssen. Doch zu Cherts Lebzeiten hatte sich alles verändert: Jetzt bauten selbst kleinere Städte mächtige Tempel und große unterirdische Bäder, ganz abgesehen von den zahllosen Grüften für reiche Kaufleute und Glaubensobere, und die meisten Funderlinge von Südmark waren hier in den Markenlanden ausgelastet.
    Talk schüttelte den Kopf. Er war stur, aber auch schlau — die schlimmste Sorte Drückeberger, dachte Chert. Oder war er gar kein Drückeberger? Chert fühlte sich plötzlich leer und erschöpft wie eine Felswand, aus der man die Ader von wertvollem Stein herausgeschlagen hatte.
Vielleicht geht es ihnen ja ähnlich wie mir. Was hat die Winzlingskönigin gesagt? »Denn wir von den höheren Gefilden haben Angst und nicht nur um uns selbst.« Ich habe auch Angst, aber wegen Dingen, die ich gesehen habe und die ich ... gespürt habe.
    Er tat sein Bestes, dieses ganze verwirrende Zeug aus seinem Kopf zu verscheuchen. »Gut. Ich werde die Zunftmeister ersuchen, euch eine Anhörung zu gewähren, wenn ihr jetzt weitermacht und euer Tagwerk zu Ende bringt. Die neuen Tunnel müssen abgestützt werden, falls ihr nicht zu viel Angst habt, dort an der Seite eurer Handwerksbrüder zu arbeiten.«
    Hornblendes Neffen grummelten auch im Weggehen noch vor sich hin, aber ihr Schritt hatte jetzt etwas Federndes, als ob sie insgeheim glaubten, einen Sieg errungen zu haben. Chert fühlte sich wieder durch und durch müde.
    Den Alten sei Dank, daß Chaven wieder da ist. Ich werde zu ihm gehen, sobald die Männer Mittagspause machen. Aber diesmal nehme ich die Vordertür.
     
    Als Chert durch die labyrinthischen Gassen der Hauptburg stapfte und die Leute zu ignorieren versuchte, die es für zulässig hielten, einen Funderling anzustarren, einfach nur weil er ein Funderling war, war er froh, daß Flint diesen Tag mit Opalia auf dem Markt verbrachte. Sie hatte den Bericht über seine Begegnung mit den Dachlingen mit einer heiteren Genugtuung hingenommen, die er fast noch verblüffender fand als die Dachlinge selbst.
    »Natürlich gibt es mehr Dinge unter dem Stein und der Sonne, als wir je wissen werden«, hatte sie erklärt. »Der Junge ist ein glimmender Funke — das sieht man doch! Er wird Großartiges in der Welt tun. Und außerdem habe ich immer schon geglaubt, daß es wirklich Dachlinge gibt.«
    Er fragte sich, ob sie sich absichtlich so naiv gestellt hatte. Seine Frau war eine kluge Person — sie konnte so etwas doch unmöglich für normal halten. Machten ihr all diese verblüffenden Dinge — Flint selbst, die Schattengrenze, die Kunde von fleischgewordenen Fabelwesen, die auf den Dächern lebten und von einer nahenden Katastrophe sprachen — solche Angst, daß sie sie einfach mit dem Mäntelchen des Vertrauten umgab?
    Chert wurde bewußt, daß er Opalia sehr wenig von seinen eigenen Ängsten mitgeteilt hatte. Ein Teil von ihm wollte es weiter so halten, wollte sie schützen, wie es ja wohl seine Pflicht war. Aber ein anderer Teil von ihm begriff, daß das mit der Zeit eine ganz schön einsame Pflicht werden konnte.
    Nicht der junge Toby öffnete ihm die Tür zum Observatoriumsgebäude, sondern der alte Diener des Arztes, Henrik, mit dem langen Schnurrbart. Er wirkte aufgeregt, ja nervös, und Chert fürchtete schon, Henriks Herr wäre womöglich krank.
    »Ich sage ihm, daß Ihr hier seid«, erklärte der alte

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