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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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fehlenden Teil des Briefs betraf, so konnte sie sich nicht vorstellen, was jemanden dazu veranlaßt haben sollte, die Seite zu stehlen. Soweit sie aus dem Vorangehenden und Nachfolgenden schließen konnte, waren es offenbar nur ziemlich alltägliche Auslassungen über die Instandhaltung der Mauern und Tore der Festung. Konnte es sein, daß ein Spion des Autarchen oder eines weniger weit entfernten Feindes das Blatt an sich genommen hatte, weil er glaubte, daß darauf vielleicht die Rede von irgendeinem Schwachpunkt in den Wehranlagen Südmarks wäre? Wie konnte jemand ihren Vater für so dumm halten, Informationen, die seine Familie und seine Heimat gefährden konnten, ausgerechnet einem Gesandten Ludis Drakavas anzuvertrauen? Da kannten sie ihn schlecht. Wie Brone gesagt hatte: Olin Eddon war jemand, der mit allem rechnete.
    Sie sprang zum Ende des Briefs, obwohl sie wußte, daß ihr wieder die Tränen kommen würden, wenn sie die Abschiedsworte las.
    Und bestelle auch Briony meine besten und liebsten Grüße, und sag ihr, es tut mir leid, daß ich hier gefangensitze und an ihrem und Barricks Geburtstag nicht anwesend sein kann. Es gibt hier in dieser zugigen, alten Feste eine Katze, die sich angewöhnt hat, am Fußende meines Bettes zu schlafen, und so wie sie jüngst an Körperfülle zugelegt hat, gehe ich davon aus, daß sie bald Mutter werden wird. Sag Briony, ich werde nicht nur bald nach Hause zurückkehren, sondern auch eine kleine Überraschung mitbringen. Die kann sie dann verwöhnen, wie sie will, denn im Unterschied zu Hunden und den meisten Kindern kann man Katzen durch Verzärtelung nicht verderben.
    Sie war mit sich zufrieden. Sie weinte nicht. Oder jedenfalls nur ein paar Tropfen, und die ließen sich leicht wegwischen, ehe Rose oder Moina wiederkam.
     
    Trotz seines unbrauchbaren Arms war ihr Barrick, dank seiner größeren Körperkraft, normalerweise im Schwertkampf mindestens ebenbürtig, aber jetzt litt ihr Bruder immer noch an den Nachwirkungen der Krankheit: Er wurde schon bald rot im Gesicht, und es dauerte nicht lange, bis er außer Atem war. Langsamer als sonst, mußte er mehrere Körpertreffer durch Brionys gepolstertes Übungsschwert einstecken, während es ihm nur ein einziges Mal gelang, sie zu treffen. Viel eher, als es Briony recht war, trat er zur Seite und feuerte seine Übungswaffe mit einem gedämpften Klirren zu Boden.
    »Das ist nicht fair«, sagte er. »Du weißt, daß ich noch geschwächt bin.«
    »Ein Grund mehr, deine Kräfte wieder aufzubauen. Komm schon, Griesgram, laß es uns noch einmal versuchen. Du kannst auch deinen Schild nehmen, wenn du möchtest.«
    »Nein. Du bist genauso schlimm wie Shaso. Meinst du, jetzt wo er nicht mehr hier ist, um mich zu quälen, könntest du es an seiner Stelle tun?«
    In seiner Stimme lag noch etwas anderes als nur normaler Ärger, und Briony bezwang ihren eigenen Groll. Sie war unruhig, so voller Wut und Düsterkeit wie Unwetterwolken. Nachdem sie tagelang herumgesessen und irgendwelchen Leuten zugehört hatte, wollte sie nur eins: sich bewegen, das Schwert schwingen, etwas anderes sein als immer nur Prinzessin, aber sie wußte, es war sinnlos, Barrick zu irgend etwas zwingen zu wollen. »Na gut. Vielleicht können wir ja statt dessen reden. Ich habe Vaters Brief noch mal gelesen.«
    »Ich will nicht reden. Bei Perins Hammer, Briony, ich habe in letzter Zeit genug geredet! Nichts als Intrigen und Verschwörungen! Ich bin müde. Ich werde ein Nickerchen machen.«
    »Aber wir haben doch noch gar nicht richtig über das geredet, was uns Brone erzählt hat — das mit Gailon Tolly und dem Brief und dem Autarchen ...«
    Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Brone ist ein Unruhestifter. Wenn es keine Intrigen gibt, keine mysteriösen Verschwörungen, vor denen er uns beschützen kann, dann hat er keinen Einfluß.« Barrick machte sich kaum die Mühe, seine gepolsterte Übungsweste aufzuschnüren, ehe er sie sich vom Leib riß, schmollend wie ein Kind, das man vom Abendbrottisch weggeschickt hat.
    »Willst du sagen, wir haben keinen Grund zur Sorge? Nachdem unser Bruder unter unserem eigenen Dach ermordet wurde ...?«
    »Nein, das sage ich nicht. Verdreh mir nicht das Wort im Mund! Ich habe nur gesagt, ich glaube nicht, daß Avin Brone uns irgend etwas erzählt, was nicht zu seinem eigenen Nutzen ist. Vergiß nicht, schließlich war er derjenige, der unseren Vater überredet hat, Anissa zu heiraten. Nynor und Tante Merolanna waren dagegen,

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