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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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aber Brone hat nicht lockergelassen, bis er Vater soweit hatte.«
    Sie runzelte die Stirn. »Da waren wir noch so klein — ich kann mich kaum dran erinnern.«
    »Ich schon. Ich erinnere mich an alles. Es ist seine Schuld, daß wir jetzt diese Verrückte am Hals haben.«
    »Verrückte?« Der Gesichtsausdruck ihres Zwillingsbruders gefiel Briony gar nicht — es lag etwas Hartherziges darin, das sie an ihm nicht gewohnt war. »Barrick, ich mag sie ja auch nicht, aber es ist roh, so etwas zu sagen, und außerdem stimmt es nicht.«
    »Ach nein? Selia sagt, sie benimmt sich sehr merkwürdig. Läßt niemanden mehr zu sich, außer irgendwelche Frauen vom Land. Selia sagt, einige von denen gelten hier in der Stadt als Hexen ...«
    »Selia? Ich wußte nicht, daß du sie wiedergesehen hast.«
    Die Röte, die sich bereits gelegt hatte, strömte jetzt abermals in sein Gesicht. »Und wenn? Geht dich das etwas an?«
    »Nein, Barrick, tut es nicht. Aber gibt es denn keine Mädchen, die deines Interesses würdiger wären? Wir wissen doch gar nichts über sie.«
    Er schnaubte. »Du redest schon wie Tante Merolanna.«
    »Rose und Moina verehren dich beide.«
    »Das ist gelogen. Rose nennt mich Prinz Nie-Zufrieden, sagt, ich beklage mich immer nur. Das hast du mir selbst erzählt.« Er sah finster drein.
    Sie bemühte sich, ein ernstes Gesicht zu machen, obwohl sie zum erstenmal seit Beginn des Gesprächs versucht war zu lächeln. »Das ist Jahre her, Dummkopf. Sie sagt es längst nicht mehr. Ja, sie war sehr besorgt um dich, als du krank warst. Und Moina ... also, ich glaube, die schwärmt für dich.«
    Einen Moment lang spiegelte sein Gesicht aufrichtiges Erstaunen, gekoppelt mit einem so heftigen Sehnen, daß Briony fast schon schockiert war. Aber gleich darauf war es verschwunden, und er hatte wieder die Maske aufgesetzt, die sie nur zu gut kannte.
    »O nein, es reicht dir nicht, Prinzregentin zu sein. Du benimmst dich, als ob du am liebsten Königin wärst — ohne daß ich da bin und mich einmische. Jetzt willst du mir auch noch sagen, mit wem ich reden darf und mit wem nicht, und vielleicht auch noch eine deiner Jungfern abstellen, damit sie so tut, als ob sie mich mögen würde, nur damit sie mich im Auge behalten kann. Aber das geht nicht, Briony.« Er drehte sich um, ließ den Rest seiner Übungsausrüstung fallen und stapfte aus der Waffenkammer. Zwei von den Wachen, die diskret an der hinteren Wand gestanden hatten, folgten ihm hinaus.
    »Das ist nicht wahr!« rief sie. »Oh, Barrick, das ist nicht wahr ...!« Aber er war schon weg.
     
    Sie wußte nicht genau, warum sie hergekommen war. Sie fühlte sich, als ob sie durch starken Wind liefe und dabei irgend etwas unglaublich Kompliziertes und Empfindliches zusammenzuhalten versuchte, so etwas wie eins von Chavens wissenschaftlichen Instrumenten, nur hundertmal größer und zerbrechlicher. Es gab Momente, da es ihr schien, als läge ein Fluch auf ihrer gesamten Familie.
    Der vierschrötige Wächter wollte ihr die Zellentür nicht aufschließen. Sie argumentierte mit ihm, aber obwohl sie die Prinzregentin war und tun konnte, was immer ihr beliebte, war doch klar, daß der Wächter, wenn sie auf ihrer Entscheidungshoheit bestand, direkt zu Avin Brone gehen würde, und der Konnetabel sollte lieber nicht erfahren, daß sie hier war. Sie verstand es ja selbst nicht richtig und konnte sich nicht vorstellen, es dem praktischen und gestrengen Brone zu erklären.
    Schließlich stellte sie sich an das vergitterte Zellenfenster und rief seinen Namen. Aber es kam keine Antwort. Sie rief noch einmal und hörte eine Bewegung, ein dumpfes Kettenklirren.
    »Briony?« Seine Stimme war nur noch das Gespenst ihrer selbst. Sie beugte sich dicht ans Gitter, versuchte ihn in dem Schattendunkel an der gegenüberliegenden Wand auszumachen. »Was wollt Ihr?«
    »Reden. Euch ... Euch etwas fragen.«
    Shaso erhob sich, Dunkel vor Dunkel, als ob der Schatten selbst durch Zauberkraft menschliche Gestalt angenommen hätte. Er kam langsam näher, schleifte die Fußkette hinter sich her, blieb dann ein kleines Stück vor der Tür stehen. In seiner Kerkerzelle war kein Licht. Nur der Schein der Fackel an der Wand hinter ihr fiel auf sein Gesicht, aber sie konnte trotzdem sehen, wie dünn er geworden war. Die Schultern waren immer noch breit, aber der lange Hals wirkte fast schon zerbrechlich. Als er den Kopf bewegte, um sie besser sehen zu können — für ihn war sie ja, wie ihr jetzt aufging, nur eine

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