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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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mögen, oder sie können einen fürchten,
hatte sein alter Hauptmann Donal Murroy immer gesagt, und noch in seinem letzten Jahr hatte Murroy nicht gezögert, jedem Mann, der unverschämt wurde oder Befehlen zu langsam nachkam, diese Furcht mit seinen knotigen Knöcheln oder mit der flachen Hand einzubleuen. Als Vansen zu Murroys Nachfolger ernannt worden war, hatte er gehofft, die Furcht durch Achtung ersetzen zu können, aber nach fast einem Jahr glaubte er allmählich, daß der alte Connorder recht gehabt hatte. Die meisten Garden waren zu jung, um je irgend etwas anderes als Frieden erlebt zu haben. Sie vermochten sich nur schwer vorzustellen, daß ein Tag kommen konnte, an dem ein Nickerchen im Dienst oder ein unerlaubtes Verlassen des Postens womöglich tödliche Folgen hätte — für sie selbst oder für die, zu deren Schutz sie da waren.
    Manchmal konnte Vansen sich das selbst kaum vorstellen. Es gab Tage hier oben am Rand der Welt, in diesem kleinen, im Norden von nebligen, verrufenen Bergen und fast überall sonst vom Meer begrenzten Königreich, da es schien, als könnte sich nie etwas ändern außer dem Wind und dem Wetter, und das wären nur die vertrauten kleinen Veränderungen — von naß zu etwas weniger naß und wieder zurück, von böigem Wind zu kräftigem Sturm zu böigem Wind —, die die Bewohner dieses kleinen Felsbrockens im flachen Meer so ermüdeten.
     
    Die Südmarkfeste hatte drei Mauerringe — den riesigen äußeren Ring aus schwarzem Granit, der den Midlanfels umspannte und dessen Fundamente vielerorts unter dem Wasserspiegel der Brennsbucht lagen, eine Einfassung aus glatt gefügtem Stein, die gemeinsam mit der Bucht die kleine Manchmal-Insel jahrhundertelang zu einer uneinnehmbaren Festung gemacht hatte; dann die Neue Mauer (wie sie genannt wurde, obwohl sich niemand an Zeiten erinnern konnte, da es sie nicht gegeben hatte), die sich rings um den königlichen Zwinger zog und alle Haupttürme außer dem Sommerturm berührte, und schließlich die Alte Mauer, die die Hauptburg umfing und in deren schützendem Schatten die Große Halle und der Palast lagen. Diese beiden Gebäude beherbergten so viele Gänge und Kammern wie ein Ameisenhaufen und hatten im Lauf der Jahrhunderte so viele Phasen der Vernachlässigung durchgemacht, daß sie manchen Raum enthielten, der seit Jahren vergessen war.
    Die umliegenden kleineren Gebäude machten die Vorburg zu einem ebenso undurchschaubaren Labyrinth. Tempel und Werkstätten, Stallungen und Wohngebäude, von den hohen, wohlgezimmerten Häusern des Adels, die sich an die Alte Mauer schmiegten, bis zu den dichtgeschachtelten Behausungen der gemeineren Burgsassen, kragten so weit vor, daß sie die engen Straßen in schattige Laubengänge aus Lehmputz und dunklem Holz verwandelten. Die meisten Gebäude in Südmark waren im Lauf der Zeit durch ein planloses Geflecht von überdachten Gassen und unterirdischen Gängen verbunden worden, um die Bewohner vor dem nassen Wetter des Nordens und dem oft unerbittlichen Wind zu schützen, so daß die unterschiedlichen, über Generationen erbauten Bestandteile der Festung miteinander verschmolzen schienen wie der Inhalt eines jener Gezeitentümpel in den Uferfelsen der Brennsbucht, wo Steine, Pflanzen und Muscheln zu einer einzigen, halblebendigen Masse verwachsen waren.
    Dennoch, sagte sich Ferras Vansen, gab es hier Sonne, weit mehr Sonne im Jahr, als er in seiner gesamten Jungend in den Hügeltälern gesehen hatte, vom frischen Seewind ganz zu schweigen. Das machte es alles erträglich, ja, mehr als erträglich: Es gab Zeiten, da es ihn mit Freude erfüllte, einfach nur hier zu sein.
     
    Als das Nachmittagslicht schwächer wurde, war Vansen den größten Teil des Alten Mauerrings abgegangen und hatte bei jedem einzelnen Wachposten haltgemacht, auch wenn es sich nur um einen einzelnen Mann handelte, der mit seiner Pike vor einer verriegelten Tür oder einem Tor stand und nicht einzuschlafen versuchte. Trunken von der Seeluft und der seltenen Möglichkeit, ohne ablenkende Kommandeurspflichten seinen eigenen Gedanken nachzuhängen, erwog Vansen kurz, noch einen Rundgang über die wesentlich längere Neue Mauer zu machen, aber ein Blick auf den Hafen und die soeben eingetroffene Karracke aus Hierosol erinnerte ihn daran, daß er sich das nicht leisten konnte. Bis zum Ende des Tages würde es hunderterlei zu tun geben: Die Gäste mußten sicher untergebracht, bewacht und beobachtet werden, und Avin Brone, der

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