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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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Konnetabel, erwartete sicher von Vansen, daß er das selbst übernahm. Es war ein Viermaster — ein stattliches Schiff, was wohl bedeutete, daß der Gesandte eine umfangreiche Leibwache mitgebracht hatte. Vansen fluchte leise. Dieses Schiff und seine Passagiere würden ihn mehr als nur ein wenig wohltuende Einsamkeit kosten. Er würde seine Männer und die Südländer nach Möglichkeit auseinanderhalten müssen. Jetzt, da König Olin der Gefangene Ludis Drakavas, des Herrschers von Hierosol, war, gab es eine Menge böses Blut zwischen den Hierosolinern und den Südmärkern.
    Als er aus dem kleinen Wachturm am Westanger trat, wurde er von seinen Planungen abgelenkt, denn da stand noch jemand auf der Mauer, eine in Mantel und Kapuze gehüllte Gestalt, zierlich genug für eine Frau oder einen Knaben. Einen verrückten Moment lang fragte er sich, ob
sie
es war, die Person, an die er nicht zu oft zu denken wagte — hatte das Schicksal sie aus irgendeinem Grund allein hierher geführt, wo sie gar nicht umhin konnten, miteinander zu reden? All die Dinge, die er ihr sagen wollte — vorsichtig, respektvoll und ehrlich —, schossen ihm durch den Kopf, ehe ihm klar wurde, daß sie es ja gar nicht sein konnte, weil sie ja noch mit den anderen in den westlichen Bergen auf Jagd war.
    Als machte dieser Gedankenwirbel ein Geräusch, so laut und so erschreckend wie ein Hornissenschwarm, schien ihn die verhüllte Gestalt plötzlich zu bemerken. Sie verschwand rasch die Treppe hinunter. Als Vansen endlich die Treppe erreicht hatte, vermochte er in dem Gewimmel der Gasse am Fuß der Mauer diesen einen Kapuzenmantel nicht mehr auszumachen.
    Also bin ich doch nicht der einzige, der hochgelegene Aussichtspunkte mag,
dachte er. Er verspürte einen ziehenden Schmerz; es dauerte einen Moment, bis er merkte, daß es Einsamkeit war.
     
    »Du bleibst zu sehr für dich, Vansen«, hatte ihm der alte Murroy einmal erklärt. »Du denkst mehr, als du redest, aber das nützt nichts, wenn jeder sehen kann, was du denkst. Sie wissen, daß du eine Menge von dir selbst hältst, aber meist nicht viel von ihnen. Die älteren Männer, vor allem Laybrick und Westerbur, können das gar nicht leiden.«
    »Ich mag keine Leute, die ... nur auf ihren Vorteil aus sind«, hatte Ferras Vansen auszudrücken versucht, was in seinem Herzen vor sich ging, ohne wirklich die Worte dafür zu haben. »Ich mag keine Leute, die nehmen, was ihnen die Götter schenken, und so tun, als stünde es ihnen zu.«
    Murroys ledernes Gesicht hatte sich zu diesem seltenen Lächeln verzogen. »Dann magst du wohl die meisten Leute nicht.«
    Seither fragte sich Ferras Vansen immer wieder, ob der alte Mann recht gehabt hatte. Er selbst hatte Hauptmann Murroy ein bißchen mehr gemocht als gefürchtet, oder jedenfalls hatte er die eherne Unbestechlichkeit dieses Mannes, seine niemals klagende Art und den gelegentlich aufblitzenden bitteren Humor gemocht. Donal Murroy war bis an sein Ende so gewesen: noch als ihm die Schwindsucht bereits das Leben aussog, hatte er weder mit dem Schicksal, noch mit den Göttern gehadert, sondern nur gesagt, er wollte, er hätte gewußt, was auf ihn zukam, dann hätte er seinem verlogenen, großspurigen Schwager eine Tracht Prügel verabreichen können, solange er noch die Kraft dazu hatte. »So muß ich es dem nächsten Mann überlassen, dessen Gastfreundschaft und Anstand er ausnutzt. Ich hoffe nur, es ist jemand, der die Zeit hat, diesen Nichtsnutz auf der Stelle zu verprügeln.«
    Vansen hatte sich gewundert, wie der todkranke Mann noch lachen konnte, trotz des quälenden Hustens und des Bluts auf Lippen und Kinn, wie seine umschatteten, tief eingesunkenen Augen immer noch so lebhaft und erbarmungslos blitzen konnten wie die eines Jagdfalken.
    »Du wirst mir als Hauptmann nachfolgen, Vansen«, hatte der Todkranke gesagt. »Ich habe mit Brone gesprochen. Er hat keine schlagenden Einwände, obwohl er dich noch sehr jung findet. Da hat er natürlich recht, aber diesem Halunken Saddler würde ich nicht mal den Zapfhahn eines leeren Fasses anvertrauen, und die älteren Männer sind 
alle zu fett und zu faul. Nein, Hauptmann wirst du, Vansen. Meinetwegen mach ruhig alles falsch. Dann werden sie nur kommen und mir Blumen aufs Grab legen und mich vermissen.« Ein weiteres Lachen, ein neuerlicher rotgetönter Spuckeregen. »Danke, Hauptmann.«
    »Nichts zu danken, mein Junge. Wenn du's recht machst, wirst du dich dein Leben lang abrackern, ohne mehr dafür zu

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