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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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kriegen als ein bißchen Land für ein Haus und am Ende vielleicht ein Fleckchen auf einem richtigen Friedhof statt auf dem Armenanger.« Er wischte sich mit einer knotigen Hand das Kinn ab. »Wo wir gerade davon reden — erinnere sie dran, daß da ein Plätzchen für mich auf dem Gardefriedhof reserviert ist. Ich will nicht irgendwo draußen in den westlichen Hügeln landen, aber ich will auch nicht, daß Michael Westerbur auf mein Grab pißt, also halt ein Auge auf mich, wenn ich tot bin.«
     
    Er hatte nicht geweint, als der Hauptmann starb, aber jetzt war ihm manchmal danach, wenn er an ihn dachte. Im Grund war der Hauptmann auf ganz ähnliche Art gegangen wie sein eigener Vater. Um Pedar Vansen hatte er auch nicht geweint, und er war schon seit Jahren nicht mehr am Grab seines Vaters bei dem kleinen Tempel von Littelstell gewesen, aber das war auch kein Wunder: Vansens Schwestern, die einzigen, die noch von der Familie übrig waren, lebten jetzt alle in Südmarkstadt, mit ihren eigenen Männern und Kindern. Dalerstroy lag mehrere Tagesritte entfernt in den westlichen Hügeln. Sein Leben spielte sich jetzt hier ab, in dieser schwindelerregend großen und dichtbevölkerten Festung.
    Er ging noch weiter zum Westturm des Rabentors. Im Wachhäuschen dort brannte ein munteres Feuer, und er blieb einen Moment, um sich die Hände zu wärmen, ehe er den Konnetabel aufsuchen würde, um festzustellen, was wegen der Südländer zu tun war. Bei seinem Eintreten war das Geplauder wie immer verstummt, und jetzt standen die Männer alle in befangenem Schweigen da, bis auf Collum Saddler, den Wachhabenden, der für Ferras Vansen das war, was einem Freund am nächsten kam. Vansen fürchtete den Tag, an dem er gezwungen sein würde, die von Murroy so oft beschworene Grenze zu ziehen und Saddler für irgend etwas zu bestrafen — was Saddler ihm entgegenbrachte, war ganz gewiß keine Furcht und wirkte auch nicht gerade wie Respekt. Er war sich sicher, daß an jenem Tag dieses bißchen Freundschaft zu Ende sein würde.
    »Kleinen Spaziergang auf der Mauer gemacht, Hauptmann?« fragte Saddler. Vansen war dankbar, daß Saddler ihn immerhin vor den Leuten mit seinem Rang ansprach. Das war doch eine kleine Respektsbezeugung, oder? »Irgendwelche feindlichen Truppen in Sicht?«
    Vansen gönnte sich ein Lächeln. »Nein, und Perin sei Dank dafür, heute und immerdar. Aber da liegt ein hierosolinisches Schiff im Hafen, und es hat mit Sicherheit Soldaten an Bord, also sollten wir auch nicht zu sorglos sein.«
    Er ging hinaus und die Treppe hinunter, zu der steilen Straße, die zur Großen Halle hinaufführte. Der Konnetabel hatte seine Arbeitsstuben in dem Irrgarten von Gängen hinterm Thronsaal, und um diese Zeit, dachte Vansen, war er sicher dort. Als Vansen auf die mit Steinornamenten geschmückte Fassade zuging und die hohe Halle dort liegen sah, eingebettet zwischen den Festungstürmen wie ein Juwel in einer Königskrone, da packte ihn plötzlich die Angst, daß sich etwas verändern könnte, daß irgendein eigener Fehler oder eine Laune der Götter ihm das alles nehmen könnte.
    Ich bin ein glücklicher Mensch,
sagte er sich.
Die Götter waren mir hold, weit über das hinaus, was ich verdient habe, und ich habe alles, was ich mir nur wünschen kann — fast alles. Ich muß diese reichen Gaben freudig annehmen und darf nicht mehr verlangen, darf die Götter nicht durch meine Gier erzürnen.
    Ich bin ein glücklicher Mensch, und das darf ich — auch in der törichten Tiefe meines Herzens — nie vergessen.

3

Ein rechter Blauquarz
    Der Vogel, der ein Rätsel ist:
Schnabel aus Silber, Knochen aus kaltem Eisen,
Schwingen aus untergehender Sonne,
Klauen, die nichts greifen als Leere.

Das Knochenorakel
    Der Junge von jenseits der Schattengrenze blieb stehen und starrte zu den hochaufragenden Burgtürmen hinüber. Die drei waren jetzt auf dem unteren Stück der Hügelstraße, die sich durch sanft gewelltes Acker- und Weideland nach Südmarkstadt hinabwand. Die steinerne Krone des Midlanfels war noch immer eine ferne Silhouette, drüben am anderen Ende der Dammstraße, und der Wolfszahnturm überragte alles wie eine Kralle, die am Bauch des Himmels kratzte.
    »Was ist das?« fragte das Kind fast flüsternd.
    »Die Südmarksfeste«, erklärte Chert. »Jedenfalls das da drüben mit den Türmen, auf dem Felsen mitten in der Bucht — das hier auf dieser Seite ist Südmarkstadt. Ja, Südmark ... manche sagen auch Schattenmark, hab ich das

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