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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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schön groß ist.«
    Anissa setzte sich auf. »Das ist es ja gerade, was mir angst macht. Er
ist
groß, das spüre ich — und wie er tritt! Eine meiner Schwestern ist bei einer solchen Geburt gestorben — sie haben das Kind gerettet, aber meine Schwester starb ... in Blut gebadet!« Sie machte ein südländisches Abwehrzeichen gegen das Böse. Sie hatte natürlich Angst, das sah Chaven, aber da war auch etwas Gekünsteltes in ihrem Ton, als ob sie ihre Angst übertrieb, um Mitleid zu wecken. Aber warum auch nicht? Es war eine beängstigende Sache, das Gebären, vor allem beim ersten Mal. Anissa war bereits Mitte zwanzig, rief er sich in Erinnerung, noch kein gefährliches Alter für eine Erstgebärende, aber doch, laut allen Gelehrten, die darüber geschrieben hatten, schon deutlich jenseits der besten Jahre.
    Das war das erste Mal, daß Chaven sie das Kind als einen »Er« bezeichnen hörte. Der Hofarzt hatte keinen Zweifel, daß die Hebamme und ihre Helferinnenschar diesbezüglich am Werk gewesen waren — vielleicht ein Pendel über Anissas Bauch gehalten oder Kerzenwachsspritzer gelesen hatten. »Wenn ich Euch einen Arzneitrank bereiten lasse, versprecht Ihr, ihn jeden Abend zu Euch zu nehmen?« Er wandte sich an Hisolda. »Ihr werdet die Ingredienzen gewiß auftreiben können.«
    Die alte Frau zog eine Augenbraue hoch. »Wenn Ihr meint, Doktor.«
    »Aber was ist das für ein Trank, Chaven? Ist es wieder so ein Elixier, das mein Gedärm in Stein verwandelt?«
    »Nein, einfach nur etwas, das Euch besser schlafen läßt. Ich bin sicher, das Kind wird gesund und kräftig sein und Ihr ebenfalls, wenn Ihr nicht die Nächte damit zubringt, Euch irgendwelche Dinge einzureden.« Er ging zu der Hebamme hinüber und nannte ihr die Ingredienzen und deren Mischungsverhältnis — hauptsächlich Lattich und Kamille, nicht zu stark. »Allabendlich bei Sonnenuntergang«, erklärte er der alten Frau. Ihm kamen langsam Zweifel, daß Schmeichelei bei ihr verfing, also probierte er es mit etwas anderem: der Wahrheit. »Es macht mir etwas Sorge, daß sie so ruhelos ist«, flüsterte er.
    »Was sagt Ihr da?« Anissa verlagerte sich schwerfällig an die Bettkante, was die Hunde aufschreckte und zum Knurren brachte. »Ist mit dem Kind etwas nicht in Ordnung?«
    »Nein, nein.« Er kam wieder zu ihr, nahm ihre Hand. »Wie ich schon sagte, Hoheit, Ihr macht Euch unnötig Sorgen. Euch geht es gut, und dem Kind geht es auch gut. Die Seuche scheint uns verschont zu haben, Preis sei Kupilas, Madi Surazem und allen Göttern und Göttinnen, die über uns wachen.«
    Sie ließ seine Hand los und berührte ihr Gesicht. »Ich bin schon so lange nicht mehr aus diesem Zimmer herausgekommen — ich muß ja aussehen wie ein gräßliches Monstrum.«
    »Ganz und gar nicht, Hoheit.«
    »Die Kinder meines Gemahls halten mich dafür. Für ein Monstrum.«
    Chaven war überrascht. »Das ist nicht wahr, meine Königin. Wie kommt Ihr denn auf so etwas?«
    »Weil sie mich nicht besuchen kommen. Tage vergehen, Wochen, und ich sehe sie nicht.« Wenn sie erregt war, wurde ihr Akzent stärker. »Ich erwarte nicht, daß sie mich jemals lieben werden wie eine Mutter, aber sie behandeln mich wie eine Dienstmagd.«
    »Ich glaube nicht, daß Prinzessin Briony und Prinz Barrick irgend etwas Derartiges beabsichtigen, sie sind einfach nur sehr beschäftigt«, sagte er sanft. »Sie sind jetzt die Regenten der Markenlande, und es geschieht so vieles ...«
    »Wie diese Sache mit dem hübschen jungen Gronefeld. Ich habe davon gehört. Ihm ist etwas Schreckliches zugestoßen. Habe ich das nicht gleich gesagt, Hisolda? Als ich hörte, er verläßt die Burg, habe ich gesagt: ›Etwas ist da nicht in Ordnung‹, ist es nicht so?«
    »Doch, Königin Anissa.«
    Chaven tätschelte ihre Hand. »Über Gailon Tolly weiß ich nichts Gewisses, nur, daß es viele Gerüchte gibt. Aber Gerüchten sollte man ja keinen Glauben schenken, oder? Nicht in einem Haus, das ohnehin schon durch Prinz Kendricks Tod und durch die Abwesenheit Eures Gemahls erschüttert ist.«
    Sie umklammerte seine Hand wieder. »Sagt es ihnen«, sagte sie. »Sagt ihnen, sie sollen zu mir kommen.«
    »Ihr meint den Prinzen und die Prinzessin?«
    Sie nickte. »Sagt ihnen, daß ich nicht schlafen kann, weil sie mich meiden — daß ich nicht weiß, warum sie so böse auf mich sind!«
    Chaven nahm sich vor, die Botschaft in etwas abgemilderter Form zu überbringen. Es wäre vielleicht ganz gut, die Zwillinge dazu zu

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