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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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schimmerten.
    Chert ging immer weiter abwärts, durch die Wolkenkristallkammer in die Glühsteinkaverne, und das Licht um ihn herum war wie etwas Lebendiges. Obwohl er nach der langen Zeit im Dunkeln ganz geblendet und benommen war, fragte er sich, wie diese mächtigen Höhlen alle so unterschiedlich sein konnten: Das hier war anders als alle natürlichen Höhlenkomplexe, die er je gesehen hatte, obwohl er in jüngeren Jahren ganz schön in Eion herumgekommen war.
    Aber das ist ja auch kein normaler Ort,
rief er sich in Erinnerung.
Das hier sind die Mysterien.
Ein Angstschauer überlief ihn. Was
machte
er hier? Ganz darauf fixiert, Flint zu finden, hatte er vor dem Abstieg nicht einmal die simpelsten Rituale vollzogen, keine der Litaneien gesprochen, kein einziges Opfer gebracht. Die Alten der Erde waren bestimmt rasend vor Wut.
    Daß Giebelgaups ausgedehntes Schweigen einen Grund gehabt hatte, zeigte sich in der Glühsteinkaverne, als der kleine Wicht plötzlich wankte und von Cherts Schulter fiel, Chert fing ihn auf und hockte sich hin, um ihn im Licht der orangegoldenen Glühsteinkristalle genauer zu mustern. Der Dachrinnenkundschafter war am Leben, aber es ging ihm sichtlich schlecht.
    »Zu heiß«, sagte er matt. »Ich ... bekomme keine Luft.«
    Chert kämpfte gegen eine mächtige Angstwelle an. Er war doch schon so dicht dran! Es war nur noch ein kleines Stück bis zum Ende des Gängesystems, jedenfalls bis zum Ende jenes Teils des Gängesystems, den er und die übrigen Funderlinge kannten, und folglich waren sie auch fast schon bei Flint, aber er konnte doch den kleinen Dachling nicht umbringen, um den Jungen zu retten. Er zwang sich, so gründlich nachzudenken, wie das mit einem so müden Kopf und einem so müden Körper möglich war, löste dann das Hemd, das er sich um die Taille geknotet hatte, als die Luft zu heiß geworden war, und baute daraus ein Nest für den kleinen Mann. Er legte Giebelgaup hinein und plazierte ihn auf einem hohen Felshubbel. Chert wußte, daß giftige Luft, auch in milderen Varianten, schwer war und nach unten sank. Er ließ dem kleinen Wicht seine Korallenlampe da.
    »Ich bin bald wieder da«, sagte er. »Versprochen. Ich gehe nur noch ein kleines Stückchen weiter.« Er gab dem winzigen Bogenschützen sein wassergetränktes Taschentuch gegen den Durst.
    »Katzen ...?« fragte Giebelgaup matt.
    »Hier unten gibt es keine Katzen«, versicherte Chert. »Das habe ich Euch doch droben schon versprochen.«
    »Nur für den Fall«, sagte der kleine Mann, setzte sich auf — was ihn fast seine gesamte Kraft kostete —, nahm Bogen und Köcher von der Schulter und deponierte beides in Griffweite, ehe er wieder in sein Behelfsbett zurücksank.
    Chert lief rasch weiter. Jetzt war da noch mehr, was ihn zur Eile trieb — nicht nur die Sorge um den Jungen und um Opalia und die Angst, daß das Korallenlicht verlöschen könnte, sondern auch die schreckliche Vorstellung, die Freundlichkeit der Dachlingskönigin und des tapferen Giebelgaup damit zu vergelten, daß er den Tod des Bogenschützen verursachte.
    Die Glühsteinhöhle endete und das Labyrinth begann. Er fluchte, weil er ausgerechnet das verwirrende Labyrinth ohne den Dachling und dessen feine Nase betreten mußte, aber da war nichts zu machen. Chert erinnerte sich daran, was er als Junge gehört hatte, in einem Alter, da Geflüster über die Initiation noch mehr Raum eingenommen hatte als Geflüster über Mädchen.
Immer links halten,
hatten seine Freunde mit der Überzeugtheit derer erklärt, die der Situation noch nicht ausgesetzt gewesen waren.
Und wenn man in eine Sackgasse kommt, muß man kehrtmachen und denselben Weg zurückgehen und dann das gleiche mit dem nächsten Gang machen.
Bei ihrer Initiation hatten sie das Labyrinth gar nicht zu bewältigen brauchen — sie waren von den Tempelbrüdern hineingeführt, eine Zeitlang dort allein gelassen und dann wieder hinausgeführt worden. Jetzt blieb ihm keine andere Wahl, als sich an die alten Ratschläge zu halten, da diesmal keine Tempelbrüder dabei waren.
    Hier, zwischen der Glühsteinhöhle und dem Meer der Tiefe gab es auch kein natürliches Licht, und Chert mußte sich im Dunkeln durch das Labyrinth tasten, mit seinem schweren, müden Atem und dem Bummern seines Herzens als einziger Gesellschaft. Nachdem er, wie ihm schien, eine ganze Stunde damit zugebracht hatte, sich Gänge entlang und wieder zurück zu arbeiten, die sich alle gleich anfühlten, war er sich sicher, daß er

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