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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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Brionys königlichen Vorfahren, Kellick dem Zweiten, aufgelauert hatte. Der Mordversuch war fehlgeschlagen, und der Kopf des Verräters war über dem Basiliskentor aufgespießt worden, während man die Überreste seines gevierteilten Körpers auf die Eingänge der vier Haupttürme verteilt hatte. Etwas von dieser gruseligen Geschichte war an dem Garten haften geblieben, weshalb sie ihn nicht sonderlich mochte, nicht einmal im Frühjahr. Jetzt waren die Rosen längst verblüht, die dornigen Sträucher an den Mauern ein so dichtes Geflecht, daß es aussah, als ob sie das alte Mauerwerk aufrecht hielten und nicht umgekehrt.
    Gedankenversunken bemerkte Briony ihre Wachen kaum, bis einer der Männer nieste und ein leises Gebet murmelte. Plötzlich dachte sie:
Was mache ich hier? Warum sollte ich in den Kerker hinabgehen? Ich bin die Königin, beinah — die Prinzregentin. Ich werde den Schankknecht in einen der Ratssäle bringen lassen und dort mit ihm reden. Es gibt überhaupt keinen Grund, weshalb ich dort hinuntergehen sollte.
Die Woge der Erleichterung brachte auch etwas Scham mit sich: Dies würde wieder ein Tag sein, an dem sie nicht groß an Shaso dan-Heza zu denken brauchte ...
    Sie erschrak, als die beiden Wachen sie plötzlich zwischen sich nahmen wie zwei Hunde ein auf Abwege geratenes Schaf. Sie wollte sie gerade anfahren — Briony Eddon war niemandes Lämmchen — als sie einen Mann und eine Frau von einer Bank in der spätherbstlichen Sonne aufstehen und auf sich zukommen sah. Es dauerte einen Moment, bis sie den Mann erkannte, der jetzt zu ihr in den Schatten des Wandelganges trat: Sie hatte Hendon Tolly fast ein Jahr nicht mehr gesehen.
    »Eure Hoheit«, sagte er mit der nicht sehr überzeugenden Andeutung einer Verbeugung. Der jüngste der Tolly-Brüder war noch immer so dünn wie ein Windhund, lang und sehnig. Sein dunkles Haar war nach der derzeitigen syannesischen Mode an den Seiten bis hoch über die Ohren geschoren, und er trug sogar ein kleines Bartbüschelchen am Kinn; mit seinem kurzen goldenen Überrock, seiner zweifarbigen Hose und den Samtbesätzen wirkte er von Kopf bis Fuß wie ein Prinz von einem der modebewußten Höfe des Südens. Briony fand es seltsam, daß er im Gesicht seinem Bruder Gailon so ähnlich sein konnte, ansonsten aber überhaupt nicht — dunkel statt blond, schlank statt kräftig, geckenhaft statt fade, als ob sich Gailon für einen schrillen Mittsommermummenschanz verkleidet hätte.
    »Ach, an Eurer Kleidung sehe ich, daß wir Euch in einem unpassenden Augenblick treffen, Prinzessin Briony«, sagte Hendon mit einem herablassenden Unterton, der sie ärgern sollte und es auch tat. »Ihr kommt offensichtlich gerade von etwas ... Anstrengendem.«
    Sie konnte mit Mühe der Versuchung widerstehen, an dem hinunterzugucken, was sie beim Übungsfechten in der Waffenkammer getragen hatte. Zum erstenmal seit langem wünschte sie, sie wäre gebührend gekleidet, im vollen Ornat ihrer Stellung.
    »Oh, aber unter Verwandten gibt es keinen unpassenden Moment«, sagte sie, so freundlich sie irgend konnte, »und innerhalb der Familie ist natürlich eine gewisse Zwanglosigkeit der Kleidung wie auch der Rede erlaubt. Aber auch innerhalb der Familie kann man zu weit gehen.« Sie lächelte und zeigte dabei die Zähne. »Ihr werdet mir gewiß verzeihen, daß ich Euch in dieser Kleidung empfange, lieber Cousin.«
    »Oh, Hoheit, der Fehler liegt ganz auf unserer Seite. Meine Schwägerin war so erpicht darauf, Euch zu treffen, daß ich dachte, wir versuchen einmal, ob wir Euch irgendwo draußen finden. Das ist Elan M'Cory, die Schwester der Frau meines Bruders Caradon.«
    Das Mädchen machte einen kunstvollen Hofknicks. »Eure Hoheit.«
    »Ich glaube, wir wurden einander bei der Hochzeit Eurer Schwester vorgestellt.« Briony kochte vor Wut, weil sie gezwungen war, in ihren verschwitzten Kleidern hier herumzustehen, aber Hendon Tolly spielte ein kalkuliertes Spiel, und sie würde ihm nicht zeigen, daß es verfing. Sie konzentrierte sich vielmehr auf die junge Frau, die etwa in ihrem Alter und auf eine ätherische, langgliedrige Weise hübsch war. Im Gegensatz zu ihrem Schwager hielt Elan die Augen niedergeschlagen und sagte nicht viel auf Brionys ebenfalls eher mechanische Fragen.
    »Jetzt muß ich wirklich gehen«, erklärte Briony schließlich. »Es gibt viel zu tun. Hendon Tolly, wir beide haben wichtige Dinge miteinander zu bereden. Würde es Euch heute abend passen? Und ich hoffe natürlich,

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