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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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Barrick in der Mehrzahl nur vom Hörensagen kannte. Tatsächlich schien die Blüte des markenländischen Adels für diesen Segen versammelt — der wackere Mayne Calhart aus dem fernen Kertewall, Sivney Fiddicks, den manche den Stückelritter nannten, da seine Rüstung und seine gesamte Kampfeskleidung ausschließlich aus Preisen bestand, die er bei verschiedenen Turnieren errungen hatte, Gowan M'Ardall, Graf von Helmingsee, und noch mehrere Dutzend hochrangiger Edelleute, alle in weißen Gewändern. Dazu kamen noch fünf- bis sechsmal so viele Männer niedrigeren Standes, die aber ein eigenes Pferd und eine eigene Rüstung besaßen und zumindest irgendwo ein kleines Gehöft oder ein Feld ihr eigen nannten, so daß sie sich als »Grundbesitzer« bezeichnen konnten.
    Wie alle anderen kniete auch Barrick auf einem Knie, mit dem Gesicht zum Altar, wo Sisel den Segen sprach. Die alten hierosolinischen Formeln kamen aus dem Mund des Hierarchen wie das bedeutungslose Gemurmel eines schnell fließenden Baches. Barrick wußte, er würde bald in den Krieg ziehen, vielleicht sogar in den Tod. Und nicht nur das: Der Feind, gegen den es ging, waren die wilden Kreaturen aus dem Schattenland, die alten Schreckgespenster, Wesen, die Albträume bevölkerten — und doch fühlte er sich seltsam ungerührt, leer und unbeteiligt.
    Er hob den Blick zu dem mächtigen dreiteiligen Standbild hinter dem Altar, den drei Göttern des Trigon auf einem kunstvoll gestalteten Steinsockel, der um die Füße des Himmelsgottes Wolken, um die des Erdgottes Steine und um die des Meeresgottes Wellen bildete. Die drei riesigen Gottheiten schauten in den Tempelraum hinaus, Perin, der Höchste der Hohen, auf seinem rechtmäßigen Platz in der Mitte, der fischschuppige Erivor zu seiner Rechten und der finstere Kernios zu seiner Linken. Sie waren Halbbrüder, allesamt Söhne des alten Sveros, des Nachthimmels, aber mit verschiedenen Müttern. Barrick fragte sich, ob wohl irgendeiner der drei bereit wäre, für seine Brüder zu sterben, so wie er sein Leben für Briony geben würde — denn das würde er ja mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tun. Aber sie waren Götter und daher unsterblich und unverwundbar, wie also sollte so etwas geschehen? Wie konnten Götter heldenhaft sein?
    Hierarch Sisels monotone Litanei ging immer weiter. Der alte Mann hatte darauf bestanden, die Zeremonie persönlich zu leiten, wegen des gewichtigen Anlasses — und, vermutete Barrick, wohl auch deshalb, weil er wie so viele andere irgend etwas tun wollte, das Gefühl haben wollte, auch seinen Beitrag geleistet zu haben. Die Kunde hatte sich schnell in Festung und Stadt verbreitet: Es gab fast niemanden mehr, der nicht wußte, daß ein Krieg bevorstand und daß es noch dazu ein ungewöhnlich beängstigender Krieg sein würde.
    Sein eigenes Gefühl angesichts dieses bevorstehenden Krieges war, das mußte Barrick zugeben, ziemlich seltsam — so, als ob man nach etwas langte, das auf einem hohen Bord lag und gerade eben außer Reichweite war, auch wenn man sich noch so reckte oder gar hochsprang. Er schaffte es einfach nicht, überhaupt etwas Richtiges zu fühlen.
    Als der Hierarch mit seinem Teil der Zeremonie fertig war, nahm er Barrick beiseite, während die Kleidung der anderen Edelleute von den blaugekleideten Tempelpriestern mit Weihrauch getränkt wurde. Der Hierarch hatte einen halb unterwürfigen, halb ärgerlichen Gesichtsausdruck, den Barrick nur zu gut kannte: So guckten Erwachsene oft, wenn sie mit ihm schimpfen wollten, aber nicht umhin konnten, daran zu denken, daß zwei seiner Vorfahren Leute wegen unerwünschter Ratschläge in den Kerker geworfen oder, falls gewisse Gerüchte stimmten, sogar getötet hatten.
    »Was Ihr tut, ist sehr mutig, mein Prinz«, sagte Sisel.
    Er meint »dumm«,
befand Barrick, aber das war natürlich ein Wort, das selbst ein Hierarch des Trigonats niemals offen auf einen Prinzregenten anwenden würde. »Ich habe meine Gründe, Eminenz. Einige sind gute Gründe.«
    Sisel hob die Hand. Es sollte heißen:
Das versteht sich,
aber für Barrick hatte es irritierende Ähnlichkeit mit Shasos erhobener Hand, die seine gesamte Kindheit hindurch fast immer bedeutet hatte:
Halt den Mund, Junge.
»Natürlich, Hoheit. Gewiß. Mögen die Drei Mächtigen dafür sorgen, daß Ihr und die anderen wohlbehalten zurückkehrt. Das Heer führt ja sicher Tyne?« Seine Stirn legte sich in Falten, als ihm bewußt wurde, was er da gesagt hatte. »Als Eure

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