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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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gelehrt hat.« Es klang ein wenig defensiv. »Aber ich glaube, daß es stimmt. Wer weiß schon, was aus uns wird, wenn wir erst in Kernios' kalten Händen sind?«
    »Ja, wer weiß das schon?«
    Jetzt kamen die Erinnerungen an die Tage im Schattenland wieder hoch, als ob jemand den Deckel, den er daraufgetan hatte, beiseite gestoßen hätte. »Ich hatte Angst, weil mir diese Welt so seltsam vorkam. Weil ich meinen eigenen Sinnen nicht trauen konnte. Weil ich mich fühlte, als wäre ich verrückt.«
    »Und etwas Beängstigenderes gibt es nicht.« Barrick schien auf düstere Weise befriedigt. »Nein, wirklich, so ist es, Hauptmann Vansen.« Er musterte ihn wieder. »Habt Ihr auch einen Vornamen?«
    »Ferras, Hoheit. Das ist in Dalerstroy ein ziemlich häufiger Name.«
    »Aber Vansen nicht.«
    »Mein Vater kam von den vuttischen Inseln.«
    Barrick hatte sich wieder den Sternen zugewandt. »Aber er hat sich in Dalerstroy niedergelassen. War er glücklich? Lebt er noch?«
    »Er ist gestorben, Hoheit, vor Jahren schon. Aber er war recht glücklich. Er hat immer gesagt, er würde den weiten Ozean jederzeit wieder gegen ein fleckchen Pachtland und gutes Wetter tauschen.«
    »Vielleicht war er ja am falschen Ort geboren«, sagte Prinz Barrick. »Ich glaube, so etwas gibt es. Manche Leute verbringen ihr ganzes Leben wie im Traum, weil sie den Ort, für den sie bestimmt sind, nicht gefunden haben — sie stolpern im Schatten umher, verängstigt und fremd, so wie Ihr dort im Zwielichtland.« Er steckte jetzt auch die andere Hand unter den Mantel. »Ihr habt recht, Hauptmann Vansen — es wird kalt. Ich glaube, ich werde noch etwas Wein trinken und dann zu schlafen versuchen.«
    Der Prinz wandte sich ab und ging den Hügel hinunter.
    Er ist doch noch ein Junge, bei allem Philosophieren,
befand Vansen, während er ihm im Abstand von ein paar Schritten folgte, wachsam selbst hier, inmitten der Feuer.
Ein Kind — gescheit, wütend und ängstlich. Mögen ihn die Götter lange genug am Leben lassen, daß sich einiges von diesem Wissen in Weisheit verwandelt.

    Das mißbilligende Gebrabbel, das sich zwischendurch fast zum Gebrüll zu steigern drohte, hatte in dem Moment eingesetzt, da Briony hereingekommen war und ihren Platz am oberen Ende der Tafel eingenommen hatte. Mahlzeiten im großen Saal waren fast nie leise und geruhsam, und an jedem anderen Tag hätte sie sich einfach still und unauffällig etwas in ihre Gemächer mitgenommen, aber sie hatte beschlossen, ihnen die Stirn zu bieten.
    Hierarch Sisel saß zu ihrer Rechten. Brone hatte, obwohl ein paar andere an der Tafel im Rang über ihm standen, den Platz zu ihrer Linken inne, denn er war der Konnetabel, und die Festung war im Kriegszustand — oder würde es jedenfalls bald sein. Der Hierarch war, nach anfänglichem Augenaufreißen und Lippenschürzen, dazu übergegangen, höflich Konversation zu machen, als wäre sie vollkommen schicklich gekleidet; sie wußte nicht recht, ob sie ihn dafür bewunderte oder verachtete. Brone war natürlich entrüstet, aber sie wußte, sein Ärger hatte mehr damit zu tun, daß sie in seinen Augen in heiklen Zeiten unnötigen Wirbel verursachte, als mit spezieller Empörung über diese provokante Verweigerung der weiblichen Rolle. Den Konnetabel beschäftigten andere Dinge, die er für wichtiger hielt, und es war offensichtlich, daß er die allgemeine Unruhe beim Erscheinen der Hauptgerichte dazu zu nutzen gedachte, mit ihr zu reden.
    Als die Überreste der Brathühner abgetragen waren und die riesige Rinderhälfte hereingekarrt wurde, in ihrem eigenen Saft schwitzend und von einer in Brionys Augen viel zu festlichen Dekoration aus gebratenen und dann in ihrem eigenen Federkleid angerichteten Pfauen umrahmt, begannen die Hunde aufgeregt zu bellen und in der Binsenstreu nach herabgefallenen Knochen zu schnüffeln. Sie langte hinab und kraulte einen Hundekopf, froh, daß wenigstens irgend jemand hier verdient glücklich war.
    »Die Arbeiten an den Befestigungsanlagen sind beinah beendet«, erklärte ihr Brone leise. »Aber auch die stärksten Mauern nützen nichts, wenn die Herzen dahinter verzagt sind. Die Edelleute sind unruhig. Etliche sind bereits aufgebrochen, um die Dinge lieber zu Hause auf sich zukommen zu lassen oder sich gar aufs Meer abzusetzen, wenn es zu finster aussieht.«
    »Ich weiß.« Sie hatte in den letzten Tagen genügend windigen Gesuchen stattgegeben, fadenscheinigen Vorwänden, die sie, wenn sie gewollt hätte, im Nu hätte

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