Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
auf wen sich Hendon Tollys Witz bezogen hatte.
    »Vetter Hendon«, rief sie, »so wie Erilo seinen Segen über die Weinlese breitet, scheint Ihr heute abend dringend benötigte Heiterkeit an unserer Tafel zu verbreiten, wo doch sonst die Leute still und nachdenklich dasitzen und sich fragen würden, was die Götter für uns bereithalten.«
    Neben ihr räusperte sich Brone, und auf der anderen Seite versuchte der Hierarch erneut, seine Bemerkung loszuwerden, irgendein harmloses Sätzchen darüber, daß ihn die ganzen Arbeiten an den Festungsanlagen auf den Gedanken gebracht hatten, gewisse Anbauten am Tempel vornehmen zu lassen, aber sie beachtete keinen von beiden. Sie und Hendon Tolly starrten sich an. Sie wartete auf seine Antwort und andere ebenfalls: Unterm Tisch spielten ein paar Hunde knurrend Tauziehen mit einem Knochen, aber ansonsten war es verblüffend still im Raum.
    »Es ehrt Euch als Gastgeberin, Prinzessin Briony, daß Ihr uns solche Zerstreuungen bietet. Dank Eurer hatten wir so viel Interessantes zu erörtern, daß ich schon beinahe vergessen hatte, wie sehr mich das Verschwinden meines Bruders Gailon schmerzt.«
    »Ja, Gailons Verschwinden betrübt uns alle«, sagte sie und ignorierte ein neuerliches warnendes Hüsteln des Konnetabels. »Es war ein schwerer Schlag, zumal seine Abreise so dicht auf den Tod meines eigenen Bruders folgte.«
    Das Unbehagen am Tisch war jetzt schon fast mit Händen zu greifen. Selbst Krey, der sich bereits für den nächsten Wieherausbruch gerüstet hatte, saß nur mit offenem Mund da.
    »Wir sind alle unglücklich«, sagte Avin Brone laut, »daß wir zwei so edle Männer so kurz nacheinander verloren haben ... wir können nur beten, daß Herzog Gailon unversehrt zurückkehrt.«
    Tolly zog leise lächelnd eine Augenbraue hoch, begnügte sich damit abzuwarten, wie sie reagierte — ob sie auf Brones Vermittlungsversuch eingehen würde. Tollys Selbstbewußtsein war als solches schon beleidigend: Es machte Briony fuchsteufelswild, daß er sich anmaßte, sich mit ihr an ihrer eigenen Tafel Wortscharmützel zu liefern und es ihr zu überlassen, ein Friedensangebot zu machen, wenn sie denn wollte.
    Sie wollte nicht. Nicht heute abend.
    »Ja, gewiß hoffen viele hier, daß Gailon Tollys rätselhaftes Verschwinden nicht von Dauer ist. Mein Bruder Kendrick hingegen wird nicht zurückkehren, nicht in dieser Welt.«
    Tollys Augenbraue kletterte noch höher. Sie konnte sich einfach nicht daran gewöhnen, daß er seinem Bruder so ähnlich und zugleich so unähnlich war. Sie hatte Gailon Tolly nie gemocht, hatte ihn streng, selbstgerecht und sogar ein wenig dumm gefunden, aber sein jüngerer Bruder hatte diesen Schwefelgeruch, dieses Glimmen von etwas Untergründigem, Wahnsinnigem. »Wollen Eure Hoheit andeuten, daß mein Bruder — mein Bruder, der Herzog, das Oberhaupt einer Familie, die Südmark seit Jahrhunderten dient — etwas mit dem Tod des Prinzregenten zu tun haben könnte?«
    »Ich muß doch sehr bitten!« sagte Hierarch Sisel, und obwohl seine Stimme zitterte, war sie doch erstaunlich kräftig. Er hatte noch vor Brone gesprochen, ein deutliches Zeichen seiner Bestürzung. »Es wäre schrecklich, so etwas zu unterstellen oder auch nur zu denken, und die Götter mögen uns vergeben, daß hier solche Worte fallen, während unsere Krieger der Gefahr entgegenreiten.«
    »Wohl gesprochen«, knurrte Avin Brone. Rings um den Tisch nickten jetzt Köpfe: die friedfertigeren — oder jedenfalls ängstlicheren — Edelleute, die erleichtert waren, daß jemand die wachsende Spannung durchbrochen hatte. »Niemand hier unterstellt Herzog Gailon irgend etwas, und wir alle beten für seine unbeschadete Wiederkehr. Der Schuldige liegt längst in Ketten im Kerker, und wir haben nicht den geringsten Hinweis darauf gefunden, daß er Verbündete gehabt haben könnte.«
    Doch Briony mußte plötzlich an Puzzles merkwürdige Aussage denken, daß Gailon an jenem Abend auf dem Weg zu Kendricks Gemächern gewesen sei, und auch an Brones eigene Warnung, daß sein Spion am Hof von Gronefeld Männer des Autarchen gesehen habe. Sie hielt den Mund, erwiderte aber Tollys steinernen Blick.
    Laß los, Briony,
sagte sie sich.
Das ist sinnlos. Nein, schlimmer als sinnlos.
    Seine Lippen verzogen sich zu einem leisen Grinsen. Er genoß die Situation.
    »Natürlich hat Graf Brone recht«, sagte sie laut. Sie hatte das Gefühl, eine bittere Arznei zu schlucken. »Die Tollys sind hier immer willkommen — wir sind

Weitere Kostenlose Bücher