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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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zerpflücken können. »Laßt sie gehen, Graf Brone. Das sind nicht die Leute, die wir an unserer Seite haben wollen, wenn die Lage wirklich ernst wird, statt wie jetzt nur ernst zu erscheinen.« Sie musterte Hendon Tolly und seine Schwägerin Elan: Die beiden saßen auf halber Höhe der Tafel und doch in einer anderen Welt, umgeben von Bewunderern wie Durstin Krey, dem Baron von Graylock. Bis auf das Mädchen lachte dort alles schallend über einen von Tollys Witzen. »Im Gegenteil, es ist schade, daß sie nicht alle gehen. Dann wäre Südmark vielleicht schwerer zu verteidigen, aber das Warten erheblich angenehmer.«
    »Aber das ist es ja gerade ...« Brone lehnte sich zurück und wartete, daß einer der Edelknaben eine Scheibe Rinderbraten auf sein Schneidbrett fallen ließ. »Mit jedem feigen Edelmann, der nach Süden reitet oder gen Osten segelt«, sagte er, als der Jüngling weitergegangen war, »verschwindet ein ganzes Gefolge von Bewaffneten, und von denen können wir keinen einzigen entbehren.«
    Briony machte eine wegwerfende Handbewegung: Was sollte sie machen? Liebe konnte man nicht erzwingen, hatte sie befunden, schon gar nicht Liebe zur Tochter, wenn es der Vater war, der diese Liebe verdient hatte. All die Gesichter, die vor ihr erschienen waren, um zu erklären, warum sie auf ihren heimischen Ländereien unbedingt benötigt wurden, oder zu versprechen, mit frisch ausgehobenen Truppen zurückzukehren, erschienen ihr bereits so fern und tot wie die Gesichter auf den Gemälden der Ahnengalerie. Aber sie würde sie sich merken, für den Fall, daß eines Tages die Sonne wieder auf Südmark schien. Sie würde sich daran erinnern, wer gegangen und vor allem wer geblieben war, und sie würde sie entsprechend bestrafen oder belohnen. Das war sie ihrem Vater und Kendrick schuldig, jetzt, da beide nichts mehr tun konnten, um diesen Ort, den sie so geliebt hatten, zu schützen.
    Bestürzt merkte sie, daß sie ihren Vater in Gedanken schon wieder behandelte, als wäre er bereits tot. Sie machte das Zeichen gegen das Böse, was sie fast nie mehr getan hatte, seit sie es als Kind von ihren Ammen gelernt hatte.
Er ist wohlauf,
sagte sie sich.
Ich werde ihm noch heute abend einen Brief schreiben und einen Kurier mit dem nächsten Schiff entsenden, das nach Süden segelt.
Eine Woge der Scham überschwemmte sie.
Ich habe ihm von dem bevorstehenden Krieg, wenn es denn ein solcher ist, kein Wort gesagt und ihm über Kendricks Tod auch nur die nackten Fakten mitgeteilt.
Aber war das die Sorte Nachrichten, die man einem Gefangenen schickte? Daß sein Königreich bedroht war, noch dazu von einem so unheimlichen Feind? Selbst in der hierosolinischen Festungshaft mußte er von Kendricks Ermordung und Shasos Verhaftung gehört haben, auch wenn ihn ihr letzter Brief nicht erreicht haben sollte — war das nicht Schmerz genug? Plötzlich vermißte sie ihren Vater so sehr, daß sie kaum atmen konnte. Und Barrick auch. Sie wünschte, ihr Zwillingsbruder säße jetzt an ihrer Seite, und sie könnten sich später gemeinsam davonschleichen und über das alles hier reden, über diese gähnenden Hofschranzen mit ihren fettverschmierten Mündern, über Verga M'Nellis, die vom vielen Wein schon ganz aufgelöst war, und den fetten Rykard, der sich allen Tatsachen zum Trotz für einen geistreichen Plauderer und Herzensbrecher hielt und der ihr früher immer Haar und Wangen getätschelt und ihr erklärt hatte, was für ein hübsches Mädchen sie einmal werden würde.
    Ich hoffe, falls diese Festung fällt, werden die Zwielichtler sie alle an den Hälsen zusammenketten und in Vansens nebliges Schattenland treiben.
    Das war ein grausamer Gedanke, der die vielen gütigen und anständigen Herzen um sie herum gänzlich außer acht ließ, aber in diesem Augenblick erschienen ihr die lauten Gespräche und das Geklapper der Becher und Messer kaum anders als Stallärm zur Fütterungszeit und all diese Menschen trotz ihrer prächtigen Kleider kaum besser als Schweine, die sich um den Trog drängten.
    Hierarch Sisel versuchte ihr etwas zu sagen, doch im selben Moment ließ sie eine Lachsalve des gutaussehenden, strohdummen Durstin Krey zusammenzucken. Der Baron von Graylock wieherte über irgendeine Bemerkung von Hendon Tolly und prustete sich Wein auf Halskrause und Doublet, was seine Umgebung nur zu neuen Heiterkeitsstürmen hinriß. Der Urheber des Ganzen sah sie mit einem befriedigten Grinsen an. Sie wußte oder glaubte jedenfalls genau zu wissen,

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