Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
in der Stadt zu suchen — und damals hatte er sich allemal als Mann gefühlt, auch wenn er es durch nichts bewiesen hatte. Dem Burschen konnte eigentlich nicht viel passieren — er stand ja keine vierzig Schritt vom nächsten Biwakfeuer —, und für das Bedürfnis, allein zu sein, hatte Vansen mehr Verständnis als manch anderer, aber es machte ihn trotzdem nervös.
Schließlich war Collum Saddler keine Armlänge von mir entfernt, als ihn das Ungeheuer geholt hat.
Es wäre schon schrecklich genug, dieser schönen, traurigen jungen Frau mitteilen zu müssen, daß ihr Bruder einen ehrenvollen Tod auf dem Schlachtfeld gestorben war — unvorstellbar, ihr sagen zu müssen, der Prinz sei von Schattenwesen mitten aus dem Lager entführt worden.
    Als er den Buckel hinaufstieg und das nasse Gras um seine Beine peitschte, fragte sich Vansen plötzlich, was die Zwielichtler wollten. Obwohl es zu seinen Lebzeiten kaum richtige Kriege gegeben hatte, hatte er doch reichlich Erfahrung mit Gewalt. Er wußte, es gab Menschen, die man nur mit dem Schwert daran hindern konnte, sich einfach zu nehmen, was sie wollten, und es gab auch welche, die fürchteten, andere wollten ihnen ihr Eigentum wegnehmen, wenn es gar nicht stimmte. Er wußte, daß Habgier und Angst den meisten gewaltsamen Auseinandersetzungen zugrunde lagen. Aber diese Armee, die er jenseits der Schattengrenze gesehen hatte, dieser Aufmarsch des Erhabenen und des Schrecklichen, dieses gräßliche, gloriose Heer — was konnten diese Wesen wollen? Warum hatten sie nach zweihundert Jahren die Sicherheit ihrer nebligen Lande verlassen, zu einer Zeit, da ihre Feinde von einst längst nicht mehr existierten und unzählige neue Menschen zur Welt gekommen waren, gelebt hatten und schließlich gestorben waren, ohne die Schattenwesen je als irgend etwas anderes gekannt zu haben denn als den Stoff von alten Geschichten und bösen Träumen?
    Er mußte ein Schaudern unterdrücken. Sie waren keine Menschen, ja nicht einmal Tiere, sondern Dämonen, das wußte er besser als jeder andere. Wie konnte sich da ein bloßer Mensch anmaßen, ihre Beweggründe verstehen zu wollen?
    Der junge Barrick drehte sich um, als er ihn nahen hörte, sah ihn kurz an und wandte sich dann wieder dem zu, was ihn so gefesselt hatte — gar nichts, soweit Vansen sehen konnte. »Prinz Barrick, verzeiht. Ist alles in Ordnung?«
    »Hauptmann Vansen.« Der junge Mann starrte weiter in den Nachthimmel. Der Wind hatte die Wolken vertrieben, und die Sterne waren hervorgekommen. Ferras Vansen mußte daran denken, wie er als kleiner Junge gedacht hatte, sie wären Kochfeuer von Leuten — Himmelshirten vielleicht die auf der anderen Seite der großen Himmelsschüssel lebten und ihrerseits die Feuer der Vansens und ihrer Nachbarn Sterne nannten.
    »Es wird allmählich kalt, Hoheit. Vielleicht hättet Ihr es ja drunten bei den anderen gemütlicher.«
    Der Prinz antwortete nicht sofort. »Wie war es?« fragte er schließlich.
    »Verzeihung ...?«
    »Hinter der Schattengrenze. Hat es sich anders angefühlt? Anders gerochen?«
    »Es war furchterregend, Hoheit, wie ich Euch und Eurer Schwester bereits berichtet habe. Neblig und dunkel. Verwirrend.«
    »Ja, aber
wie
war es?« Den verkrüppelten Arm hielt er unterm Mantel versteckt, aber die andere Hand zeigte jetzt in den Himmel. »Habt Ihr dieselben Sterne gesehen? Demias Leiter, die Hörner?«
    Vansen schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht mehr genau. Es — es war alles beinah wie ein Traum. Sterne? Ich bin mir nicht sicher.«
    Barrick nickte. »Ich habe Träume von ... von der anderen Seite. Jetzt ist mir das klar. Ich habe sie schon mein Leben lang. Ich wußte nur nicht, was es für Träume sind, aber als ich Euch reden hörte, über ...« Er drehte sich um und musterte Vansen überraschend scharf. »Ihr sagt, Ihr hattet Angst. Wovor? War es die Angst, sterben zu müssen? Oder etwas anderes?«
    Vansen mußte kurz nachdenken. »Angst, sterben zu müssen? Natürlich. Die Götter geben uns die Angst vor dem Tod mit, damit wir ihre Gaben nicht leichtfertig verschleudern — damit wir von dem, was uns gegeben ist, vollen Gebrauch machen. Aber das war nicht das, was ich dort verspürt habe — jedenfalls nicht alles.«
    Barrick lächelte, wenngleich dieses Lächeln irgendwie unvollständig war.
»Damit wir von dem, was uns gegeben ist, vollen Gebrauch machen.
Ihr seid ein kleiner Poet, was, Vansen?«
    »Nein, Hoheit. Ich ... das ist nur das, was mich der Dorfpriester

Weitere Kostenlose Bücher