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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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übrige Tafelrunde, all diese bleichen, gaffenden Gesichter, sah auf die Hände, die, erkaltende Fleischbrocken umklammernd, auf halbem Weg vom Teller zum Mund in der Luft erstarrt waren. »Ihr alle.
Alle miteinander!«
    Aber es war Briony selbst, die das Schwert wieder in die Scheide rammte, sich umdrehte und aus der mächtigen Halle stampfte, daß die Diener vor ihr auseinanderstoben. Sie schaffte es, daß erst noch die Tür hinter ihr zufiel, ehe die Zornestränen sie überwältigten.

33

Die bleichen Wesen
    Stern auf dem Schild:
Die Ahnen singen,
Die Steine sind im nassen Gras aufgeschichtet,
Zwei neugeborene Kälber warten zitternd.

Das Knochenorakel
    Es war erschreckend, am selben Abzweig der Nordmärkerstraße zu stehen wie erst vor einigen Wochen und auf die Hügel zu schauen, die jetzt mit dunklen Rankgewächsen und nickenden, dunkelschillernden Blüten überzogen waren. Die Soldaten flüsterten und scharrten mit den Füßen wie unruhiges Vieh, doch noch bestürzender war der Anblick für Ferras Vansen. Er hatte diese Vegetation schon gesehen, aber mindestens vierzig Meilen weiter westlich. Sie hatte sich binnen kurzer Zeit so weit ausgebreitet.
    »Wo bleiben diese Kundschafter?« fragte Graf Tyne zum sechsten oder siebten Mal innerhalb einer Stunde. Er klatschte in die behandschuhten Hände, als ob es bitter kalt wäre, obwohl die Sonne noch nicht untergegangen und der Wind für Endekamene mild war. Der oberste Heerführer hatte seinen Helm wie einen leeren Eimer auf dem Boden abgestellt und die Rüsthaube zurückgeschoben. Sein störrisches, graumeliertes Haar stand in Büscheln ab. Er starrte auf die seltsam Ölige Färbung der Wiesen und die schwarzen Blüten, die sich im Wind bewegten wie die Köpfe lautlos aus dem Gras hervorspähender Kinder. »Sie müßten längst zurück sein.«
    »Doiney und die anderen sind gute Männer, Herr.« Vansen sah zu den wartenden Soldaten hinüber. Zu jeder anderen Zeit wären sie bei einem so langen Halt in die Wiese davongestreunt wie unbewachte Schafe, aber jetzt hatten sie sich nicht vom Fleck gerührt, standen einfach nur unbehaglich da, als hielten die Straßenränder sie gefangen.
    Diese Bauern- und Krämersöhne wollten mit den dornigen Ranken und den unnatürlichen, Ölig schillernden Blüten nicht in Berührung kommen.
    »Ihr sagtet, Ihr hättet so etwas schon einmal gesehen, Vansen.«
    »Ja, Graf Aldritch. Mit meinem Trupp, im nördlichen Silverhalden. Unmittelbar ehe ... ehe der ganze Spuk begann.«
    »Beim Blute der Götter, behaltet das bloß für Euch«, sagte Tyne stirnrunzelnd. »Diese Männer sind ohnehin schon kurz davor, kehrtzumachen und den ganzen Weg bis nach Südmark zurückzurennen.« Er starrte grimmig zu einem kahlgeschorenen Mantis hinüber, der mit großem Getue auf der Mitte der Straßenkreuzung einen Weihrauchkessel schwenkte und die Vertreibung der bösen Geister mit einem stöhnenden Singsang begleitete. Viele Männer verfolgten das Spektakel sichtlich beklommen. »Dem Priester da werde ich den Kopf abschlagen lassen«, knurrte der Graf von Wildeklyff.
    »Ich glaube, die Männer werden sich schon bewähren, wenn es soweit ist, Herr. Viele von ihnen haben bereits an der brenländischen Grenze oder gegen die Räuberhorden in den keltischen Bergen gekämpft. Es ist nur das Warten, das sie zermürbt.«
    Tyne trank aus seinem Sattelbecher und musterte den Gardehauptmann nachdenklich. »Es zermürbt uns alle — das ist das verfluchte Problem. Es ist schon schlimm genug, drauf zu warten, daß der Feind sich zeigt, wenn man weiß, es geht gegen gewöhnliche Menschen. Wie sollen sie sich das da erklären?« Er wedelte mit der Hand in Richtung der verseuchten Hügel.
    Ferras Vansen war froh, daß der Graf darauf keine Antwort erwartete.
    »Ah«, sagte Tyne plötzlich hörbar erleichtert. »Da sind sie ja.« Er kniff die Augen zusammen. »Sie sind es doch, oder?«
    »Ja, Herr.« Auch Vansen fühlte, wie sich die Enge seiner Brust ein wenig löste. Die Späher waren um die Mittagszeit zurückerwartet worden, und jetzt hing die Sonne schon dicht über den Hügelkuppen. »Sie reiten schnell.«
    »Sieht aus, als hätten sie etwas mitzuteilen.« Tyne drehte sich um und starrte zu der wartenden Heereskolonne auf der Straße hinüber. Es war über einen Tag her, daß sie die letzten Flüchtlinge aus Milnersford getroffen hatten, und so schrecklich, ja geradezu unfaßbar die Geschichten gewesen waren, hatte die schiere Anwesenheit der Leute doch immerhin

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