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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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zu sein — sie kam sich vor wie ein Geist.
    Sie kehrte zum vorigen Satz zurück, strich einen Teil aus, änderte ihn so, daß er jetzt lautete, »...
daß Kendrick das konnte und Du es auch kannst« —
sie hatte gemerkt, daß sie vom König, ihrem Vater, schon wieder in der Vergangenheitsform gesprochen hatte, als ob er tot wäre und nicht nur in Gefangenschaft.
So die Götter wollen, ist das ja nur eine unbegründete Befürchtung!
Trotzdem, das Ganze schien ein hoffnungsloses Unterfangen. Wie sollte sie ihm wahrheitsgemäß mitteilen, was sich ereignete, ohne daß er vor Sorge außer sich geriet?
    Wie sollte sie das alles in Worte fassen, die gräßlichen Zwielichtler, das Getändel der Tollys mit dem Autarchen, diesen scheinbar endlosen Strom von Schreckensbotschaften? Wie sollte sie ihrem Vater von ihrer Angst um Barrick erzählen, ohne ihm das Herz zu brechen?
    Sie legte die Feder hin und las durch, was sie geschrieben hatte. Das größte Problem war natürlich, daß sie nicht über das reden konnte, was sie am meisten beunruhigte — die schreckliche Geschichte ihres Zwillingsbruders. Seit Barrick sie ihr erzählt hatte, saß sie in ihrem Inneren wie ein verschluckter Stein, ein riesiger, unverdaulicher Klumpen. An manchen Tagen schleppte sie so schwer daran, daß ihr das Gehen und Reden, ja selbst das Denken schwerfiel. Sie hoffte nur, daß es ihren Bruder ein wenig entlastet hatte, ihr das alles zu erzählen, denn ihr hatte er damit jedenfalls eine Last aufgebürdet. Wie konnte so etwas wahr sein? Aber wenn es nicht wahr war, wie konnte dann Barrick, ihr Zwillingsbruder, ein solcher Lügner sein? Und wenn es wirklich wahr war, wie sollte sie dann ihrem Vater schreiben, als ob sich nichts geändert hätte, als ob sie immer noch dieselbe liebende Tochter in derselben unveränderten Welt wäre?
    Entweder ist Barrick der größte Lügner der Welt ... oder Vater ...
    Es war sinnlos. Sie hatte geglaubt, sie könnte ihm schreiben, aber es ging nicht.
    Briony hielt gerade den letzten noch unverkohlten Rest des Pergaments in die Kerzenflamme, als es an ihrer Tür klopfte. Sie ließ die Überbleibsel des Briefes so jäh in den Kerzenhalter fallen, als wäre sie bei etwas Unrechtem ertappt worden. »Wer ist da?«
    »Es ist Graf Brone, Eure Hoheit«, sagte eine ihrer Wachen durch die geschlossene Tür. »Er wünscht ...«
    »Oh, bei Perins verflixtem Rotbart, das kann ich ihr selbst sagen«, knurrte der Konnetabel. »Laßt mich bitte ein, Prinzessin. Ich habe etwas Dringendes mit Euch zu besprechen.«
    Obwohl es noch so früh und der Himmel fast noch dunkel war, war Avin Brone doch schon für den Tag gekleidet, wenn er auch so aussah, als hätte er sich ziemlich hastig angezogen. Er sah sich im Zimmer um, als suchte er es nach Feinden ab, entdeckte aber nur schlafende Mädchen.
    »Wir müssen vertraulich reden«, erklärte er.
    »Sie haben alle einen sehr festen Schlaf, aber wenn es um die Sittsamkeit geht, können wir auf den Gang hinausgehen ...«
    »Nein. Das ist nicht für die Ohren der Wachen bestimmt. Noch nicht.« Er guckte wieder im Raum herum. »Nun gut«, sagte er schließlich. »Dann müssen wir eben leise reden.«
    Sie bedeutete ihm, sich an den Schreibtisch zu setzen, blieb selbst aber stehen. Irgend etwas an seinem Verhalten hatte sie alarmiert; sie verspürte einen fast schon animalischen Fluchtdrang. Obwohl Brone so mürrisch und zerstreut wie immer wirkte, spürte sie doch, daß darunter etwas ganz und gar nicht stimmte, und sie fragte sich, wie lange die Wachen wohl brauchen würden, um hereinzustürmen, wenn sie nach ihnen riefe. Unwillkürlich entfernte sie sich einen Schritt von dem Konnetabel, noch einen, und ließ dann, etwas beschämt, die Bewegung in die Suche nach einem dickeren Umschlagtuch münden. Zum erstenmal seit einer Stunde merkte sie, daß sie nur dünne Pantoffeln trug und kalte Füße hatte.
    »Gailon Tolly ist gefunden worden.«
    »Wo?«
    »Auf einem Feld in Marrinswalk. In einem Graben, genauer gesagt, unter Zweigen.«
    »Was?« Einen Moment lang hatte sie die verrückte Vision von Gailon, wie er Verstecken spielte. Dann begriff sie. »Oh, barmherzige Zoria, in einem Graben? Ist er ... ?«
    »Tot, ja. Ganz und gar tot — genau wie die Männer, die mitgeritten sind. Ein halbes Dutzend insgesamt, alle miteinander in ein hastig improvisiertes Grab geworfen, wenn man es denn als ein solches bezeichnen kann.«
    Sie war wie betäubt. »Aber ... wie ...?« Briony zwang sich, klarer zu

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