Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
bewegte sich. Er sah furchtsam zu dem Leuchtenden Mann empor, der so riesig und bedrohlich vor ihm aufragte wie der Gott in seinem Traum, doch der Kern, der zuvor so hell geloht hatte, war jetzt seltsam dunkel geworden, nur ein paar glimmende Flecken huschten unter der Oberfläche des kristallinen Steins dahin wie silbrige Fische in einem Teich.
    Der Felsgrund erschauerte wieder, dann erstarb das Ächzen, und die Erdbewegungen hörten auf. Ein, zwei Herzschläge lang hörte Chert noch das Geräusch der rutschenden Ufersteinchen, die erst eine neue Anordnung finden mußten, dann war alles wieder still.
    Flint wimmerte. Chert, der sich sicher gewesen war, ein totes Kind in den Armen zu halten, hätte ihn vor Schreck fast losgelassen. Vor jäher Freude und neuer Furcht drohte ihm das Herz aus der Brust zu springen. »Junge! Sprich mit mir! Ich bin's, Chert!«
    Doch der Junge war jetzt wieder reglos, seine Haut unter dem Staub und Dreck feuchtkalt.
    Der Gang. Ich muß ihn zurückbringen.
    Er versuchte aufzustehen, schaffte es aber nicht — mit dem Jungen kam er kaum auf die Knie hoch. Er legte Flint so sanft wie möglich hin, erhob sich mühsam, stand wacklig da. Der Junge war so groß wie er und auch fast so schwer. Es gab nur eine Möglichkeit, ihn zu tragen: über den Schultern, so wie Silas von Perikal — oder war es einer der anderen Helden aus den Großwüchsigen-Sagen? — angeblich jeden Tag ein Bullenkalb geschultert hatte, so daß mit dem Tier auch Silas' Muskelkraft gewachsen und er schließlich der stärkste Recke seiner Zeit geworden war.
    Oder war das Hiliometes, der Kracier?
fragte sich Chert zerstreut, während er neben dem bewußtlosen Kind in die Hocke ging. Geistesabwesend zog er dem Jungen den Spiegel aus der Hand — der Griff der kleinen Finger war immer noch erstaunlich fest — und steckte ihn in die Tasche. Er fühlte sich nicht weiter auffällig an, nicht leichter und nicht schwerer als vorher, nicht wärmer, nicht kälter.
Ja, es war der Kracier. Nein, Augenblick mal, Hiliometes war doch ein Halbgott — der brauchte seine Muskeln nicht zu stählen, um schwere Lasten zu heben.
Chert konnte diese ganzen Großwüchsigen-Helden einfach nicht auseinanderhalten. Es gab so viele, die Ungeheuer töteten und Jungfrauen retteten, und irgendwie schienen sie alle gleich ...
    Er wuchtete sich Flints Oberkörper auf die Schulter, packte den Jungen dann an den Schenkeln und hievte ihn hoch, bis er mit der Taille an seinem Hals lag. Unter Ächzen und leisem Fluchen — und dabei die ganze Zeit imstande, seine eigene Plackerei zu beobachten, als ob er zwei Personen gleichzeitig wäre — stemmte sich Chert langsam in den Stand hoch. Die Beine des Jungen baumelten jetzt vorn herab, der Kopf hinten. Einen Moment lang war Chert ganz euphorisch, weil er das Unmögliche geschafft hatte, doch dann spürte er schon beim ersten Schritt, wie seine Beine vor Anstrengung zitterten und seine Rückenmuskeln zu harten Knoten wurden. Und schlimmer noch, ihm wurde klar, daß er vergessen hatte, wo er aus dem unterirdischen Gang herausgekommen war. Er wußte, das einzig Vernünftige wäre, den Jungen für die Suche wieder abzulegen, aber er wußte auch, daß er es nicht noch einmal schaffen würde, ihn hochzuhieven.
    In dem schummrigen Licht war schwer zu sagen, was Fußstapfen waren und was nur dunklere Kuhlen in der Kieselschicht, aber er kehrte dem nunmehr erloschenen Leuchtenden Mann den Rücken zu und tat sein Bestes. Zunächst war jeder Schritt sehr mühsam; als er ein Stück weit gewankt war und den Stolleneingang noch immer nicht gefunden hatte, war jeder Schritt eine Qual. Ihm brach der Schweiß aus, und er bekam keine Luft mehr.
    Leg dich hin und warte auf Hilfe,
riet ihm eine Stimme in seinem Kopf.
    Leg dich hin und stirb,
flüsterte eine andere, als er ausglitt und beinahe strauchelte, um ein Haar das hilflose Kind hätte fallen lassen.
    Die Götter helfen denen, die sich selbst helfen,
dachte er, und dann:
Ich hasse die Götter. Warum quälen mich die Alten so? Warum benutzen sie den Jungen, um Opalia und mir Leid zuzufügen?
    Ein weiterer Schritt. Er keuchte und wäre wieder fast gefallen. Noch einer.
Aber was weißt du denn über die Beweggründe der Götter? Wer bist du, kleiner Mann?
    Ich bin Chert aus der Blauquarz-Sippe. Ich verstehe etwas vom Stein. Ich tue meine Arbeit. Ich sorge ... ich sorge für ... meine ...
    Doch dann stolperte er und fiel wirklich hin, lag keuchend im Kies, unter dem Jungen

Weitere Kostenlose Bücher