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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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Steinsäule zu rennen — Briony ging benommen zu Boden —, aber das unregelmäßige Loch, das das Maul des Wesens war, barst auf, und etwas flog heraus und klackerte über den Steinboden.
    Das
Kulikos-Ungeheuer
schrie wieder auf, diesmal jedoch vor Pein und Angst. Auf einmal war die Luft von Funken und fliegendem Staub erfüllt. Der Wind, der das Wesen hervorgebracht hatte, schien es wieder in seine Bestandteile aufzulösen.
    Briony versuchte, auf die Beine zu kommen, doch der krächzende Schrei des Ungeheuers war so laut, daß er das Deckengebälk zum Einsturz zu bringen drohte; vor Schreck fiel sie wieder hin und entging so dem Vergeltungshieb der schrecklichen Klaue. Das Monster, das Selia gewesen war, ließ sich auf den Boden fallen und krauchte hinter dem
Kulikos-Stein
her. In seinem Kern waren jetzt die menschlichen und die dämonischen Elemente in flackerndem, waberndem Aufruhr. Es richtete sich mit einem triumphierenden Fauchen auf, aber das, was es in der krallenbewehrten Hand hielt, war nur ein Fingerhut — vielleicht hatte er ja der Zofe selbst gehört. Das Wesen ließ das kleine silberne Ding fallen und brüllte vor Schmerz und Verzweiflung, das Selia-Gesicht jetzt eine deutlich erkennbare Grimasse der Pein. Der abgebrochene Hellebardenschaft zitterte in der Brust des Ungeheuers, inmitten eines glimmenden Lochs. Es taumelte rückwärts gegen das Bett, und der gesamte Betthimmel krachte herab, legte sich als eine Decke aus tosendem Feuer auf das Schattenwesen. Es brüllte wieder und schlug um sich, fiel dann mit einem Wimmern, das erstmals etwas Menschliches hatte, vornüber und lag, in den Flammen zuckend, am Boden.
    In der jähen Stille war Briony, als wäre sie auf den Mond versetzt worden, irgendwohin, von wo sie nie mehr in das Leben zurückkehren konnte, das sie kannte. Sie starrte auf die in brennende Vorhänge gehüllte Kreatur und die schwelenden Teppiche. Als sie sich sicher war, daß sich das Monster nicht mehr bewegte, ergriff sie einen Nachttopf und entleerte ihn über die brennenden Überreste, was die schlimmsten Flammen löschte und dem gräßlichen Gestank nach Feuer und Blut noch den Geruch kochenden Urins hinzufügte. Als sie apathisch die übrigen Flammen auszutreten begann, kroch Chaven auf sie zu, die Hände rußschwarz, das Gesicht eine Grimasse des Schmerzes.
    »Nicht«, sagte er heiser. »Wir haben sonst kein Licht.« So abwesend, als ob jemand anders ihren Körper steuerte, fand Briony eine Kerze, entzündete sie an einem brennenden Bettvorhangfetzen und trat dann die restlichen Flammennester aus. Sie entzündete eine weitere Kerze. Sie weinte nicht, fühlte sich aber, als müßte sie es tun. »Warum?«
    Chaven schüttelte den Kopf. »Ich war so dumm. Weil das Mädchen vor und nach Kendricks Tod krank war, dachte ich, es hätte wirklich das Fieber, das dann auch Barrick befiel. Jetzt ist mir klar, daß sie vorher nur die Erklärung jener Schwäche vorbereitete, die sie nach Gebrauch des
Kulikos-Steins
überkommen würde. Ich dachte, Anissa müßte die Hexe sein, und wollte sie bluffen. Ich hatte keine Ahnung, daß der Stein ohne große Vorbereitungen ein weiteres Mal seine Wirkung entfalten könnte, ohne irgendein kompliziertes Zauberritual ...«
    »Nein, warum hat sie Kendrick umgebracht? Wollte sie mich auch töten?«
    Chaven starrte auf die uringetränkte, versengte Masse. Er zog einen Vorhangzipfel ab. Verblüfft sah Briony Selias lebloses Gesicht, mit offenen Augen und aufgerissenem Mund. Was auch immer in die Zofe gefahren war, jetzt war es verschwunden, ohne irgendeine andere Spur zu hinterlassen als eine Schmiere aus feinen Steinkörnchen, Staub und Asche auf ihrer Haut. »Ja, sie hätte Euch getötet — und Barrick auch, wenn er mit Euch gekommen wäre. Nicht Eure Stiefmutter hat Euch eingeladen, Selia selbst hat es getan. Deshalb war Anissa so verwirrt. Warum sie es getan hat?
Für wen
ist, glaube ich, die bessere Frage, aber die Antwort weiß ich nicht.« Er inspizierte seine schwarzen, blasenübersäten Hände und sagte reuig: »Ich war mir so sicher, daß es nur Anissa sein konnte ...«
    Er sah Briony an und sie ihn, denn beide überfiel derselbe schreckliche Gedanke. »Anissa!« sagte sie.
    Brionys Stiefmutter lag jenseits des Betts auf dem Fußboden, in einer Wasserlache zusammengekrümmt, und schien überhaupt nicht mitbekommen zu haben, was passiert war. Die Königin delirierte schon fast vor Schmerz und hielt sich den Bauch. »Es kommt!« stöhnte sie. »Das

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