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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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Buchsbaumhecke, wie ein Geist in ihrer eigenen Atemwolke. Sie wollte nichts mit den Höflingen zu tun haben. Es war schon das Äußerste gewesen, den ganzen Abend im Speisesaal ihren Anblick zu ertragen. Jetzt, da die Erinnerung an das nichtmenschliche Ungeheuer, das Kendrick getötet hatte, in ihrem Kopf saß wie ein spitzer Eiszapfen, wie die nimmerheilende Wunde der Maid in dem Lied, hatte sie das Gefühl, nie wieder in eins dieser leeren Gesichter blicken zu können, ohne zu schreien.
    Sie gelangte durch einen Nebeneingang nach drinnen, ging dann aber, statt den üblichen Weg zu nehmen, durch einen kleinen Raum hinter dem Thronsaal, um nicht auf irgendwelche Dienstboten zu stoßen, die ihre Pflichten möglichst schnell zu erledigen suchten, damit sie danach noch ihr eigenes Winterfest feiern konnten. Am oberen Ende der Kerkertreppe standen keine Wachen, und als sie unten die unverriegelte Tür aufstieß, fand sie einen Mann und dessen Pike bei einer einsamen Wache. Der Wächter war im Sitzen eingenickt; beim Geräusch der Tür hob er langsam den Kopf und rieb sich die Augen. Sie konnte nur ahnen, wie sie aussah, in ihrem zerrissenen Kleid, das Gesicht zweifellos ebenso asche- und blutverschmiert wie ihre Hände.
    »P-Prinzessin!« Er rappelte sich auf, grabbelte nach seiner Pike und schaffte es prompt, sie mit dem falschen Ende nach oben zu halten. Es wäre komisch gewesen, wenn nicht alles an dieser Nacht so gräßlich gewesen wäre, so voller Blut und Feuer ... und wenn sein lächerlich ernstes Gesicht nicht solche Ähnlichkeit mit dem von Heryn Millward gehabt hätte, dem jungen Garden, der jetzt tot in Anissas Gemach lag, in einer Lache von seinem eigenen Blut.
    »Wo sind die Schlüssel?«
    »Hoheit?«
    »Die Schlüssel! Die Schlüssel zu Shasos Zelle! Gebt sie mir!«
    »Aber ...« Seine Augen waren kugelrund.
    Ich muß wirklich aussehen wie eine Dämonin.
»Muß ich erst schreien, Mann? Gebt mir die Schlüssel, und dann geht und holt Euren Hauptmann. Wer hat das Kommando, jetzt, da Vansen fort ist?«
    Der Mann fummelte den Ring mit den schweren Schlüsseln von einem Wandhaken. »Fetter«, sagte er nach kurzem, panischem Nachdenken. »Jem Fetter, Hoheit.«
    »Dann holt ihn. Wenn er schläft, weckt ihn, wenn ich mir auch nicht vorstellen kann, daß er am Winterfest schlafen sollte.« Aber konnte das wirklich noch dieselbe Nacht sein? So unfaßbar es auch war, mußte es wohl doch stimmen. »Sagt ihm, er soll einen Trupp Soldaten zusammentrommeln und hierherkommen. Sagt ihm, die Prinzregentin braucht ihn, sofort.« Solange sie nicht wußte, warum die Hexen-Zofe Selia das alles getan hatte, solange nicht klar war, ob die junge Südländerin bei Kendricks Ermordung mit anderen im Bunde gewesen war, würde hier niemand schlafen. »Aber ...«
    »Bei den Göttern, geht jetzt!«
    Der Mann ließ vor Schreck die Schlüssel fallen. Briony fluchte gar nicht prinzessinnengemäß und bückte sich, um sie aufzuheben. Der Wächter zögerte nur kurz, riß dann die Tür auf und hastete die Treppe hinauf.
    Das Schloß der Zellentür war rostig und schwergängig, aber mit beiden Händen schaffte sie es, den Schlüssel zu drehen, und endlich gab die Tür ächzend nach. Die Gestalt, die ganz hinten in der Zelle am Boden lag, rührte sich nicht, sah nicht einmal her.
    Er ist tot!
Ihr erschöpftes Herz begann wieder zu rasen, und einen Moment lang drohte sie das Dunkel des feuchtkalten Raums zu verschlingen. »Shaso! Shaso, ich bin's, Briony! Die Götter mögen uns vergeben, was wir getan haben!«
    Sie lief zu ihm und rüttelte an seiner Schulter, erleichtert, weil sie seinen rauhen Atem hörte, aber erschrocken, wie dünn der alte Mann geworden war. Er regte sich. »Briony ...?«
    »Wir haben Euch unrecht getan. Verzeiht uns — verzeiht mir. Kendrick ...« Sie half ihm, sich aufzusetzen. Er roch fürchterlich, und sie wich unwillkürlich einen Schritt zurück. »Ich weiß jetzt, wer Kendrick getötet hat.«
    Er schüttelte den Kopf. Es war dunkel in der Zelle, da das eine Kohlebecken draußen nicht reichte, um auch nur diesen kleinen Raum mit zu erhellen. Sie konnte seine Augen nicht sehen. »Getötet ...?«
    »Shaso, ich weiß, daß Ihr es nicht wart! Es war Selia, Anissas Zofe. Sie ... sie ist so eine Art Hexe, eine Gestaltwandlerin. Sie hat sich verwandelt, in ... oh, barmherzige Zoria, in ... ein
Ungeheuer!
Ich habe es gesehen!«
    »Helft mir auf.« Seine Stimme war eingerostet. »Um der Liebe der Götter willen, Briony, helft

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