Die Grenze
hervorgebracht hatte, doch als er weiter aufholte und schließlich neben dem dunklen Pferd war, sah er das blasse, abwesende Gesicht des Jungen. »Barrick! Prinz Barrick, ich bin's, Vansen. Haltet an!«
Der junge Prinz sah nicht einmal her. Vansen trieb sein Pferd noch näher heran, bis es Schulter an Schulter mit Barricks Pferd ging, langte dann hinüber und packte den Prinzen am Arm — zu spät erst fiel ihm ein, daß das ja der verkrüppelte Arm war.
Doch es schien auch keinen großen Unterschied zu machen. Barrick riß seinen Arm los, sah Vansen aber immer noch nicht an, wenn er jetzt auch erstmals etwas sagte.
»Geht weg.«
Seine Stimme klang seltsam, wie die eines Schlafwandlers. Die Weigerung des Jungen, ihn anzusehen, wirkte jetzt eher verrückt als verächtlich. Vansen packte ihn wieder, diesmal fester, und der Prinz stieß mit dem Ellbogen nach ihm und versuchte sich loszuwinden. Die Pferde prallten mit den Flanken gegeneinander und wieherten, unsicher, ob das Krieg war oder nicht. Vansen wich einer auf ihn zuschießenden Faust aus, schlang dann die Arme um den Prinzen und zog ihn zu sich. Barricks Fuß blieb im Steigbügel hängen; er fiel zu Boden, riß den Gardehauptmann mit. Vansen konnte zwar den Pferdehufen ausweichen, aber der Boden kam ihm entgegen und traf ihn wie eine Riesenfaust. Eine ganze Weile konnte er nur daliegen und nach Luft ringen.
Die Pferde waren nur ein kleines Stück weitergetrottet und dann stehengeblieben. Als Vansen sich schließlich aufsetzte, noch immer nicht fähig, seine Lunge ganz mit Luft zu füllen, sah er zu seiner Bestürzung Barrick bereits auf das große graue Pferd zuhumpeln, das der Nebel fast verschluckt hatte, obwohl es nur ein paar Dutzend Schritt weiter graste. Der Prinz hielt sich die Seite, als hätte er böse Schmerzen, ließ sich davon jedoch nicht aufhalten. Vansen mühte sich hoch und rannte ihm nach, war aber zu erschöpft und zerschlagen von den Kämpfen des Tages und dem Sturz; Prinz Barrick war schon fast bei seinem Pferd, als Vansen ihn endlich einholte.
»Eure Hoheit, ich kann Euch nicht dorthin reiten lassen! Nicht in jene Lande!«
Zur Antwort zog Barrick den Dolch aus seiner Gürtelscheide und führte einen ungeschickten Stoß in Vansens Richtung, ohne auch nur hinzugucken. Vansen fuhr erschrocken zurück, stolperte, fiel. Der Prinz machte keine Anstalten, seinen Vorteil zu nutzen; er wandte sich ab, um sein Pferd einzufangen, das mit ein paar nervösen Sätzen dem Handgemenge ausgewichen war. Als Barrick gerade den Sattelgurt zu fassen bekommen hatte und mit dem Fuß den Steigbügel suchte, war Vansen wieder bei ihm.
Diesmal war er auf den Dolch gefaßt und konnte ihn der Hand des Prinzen entwinden. Der Junge stöhnte leise auf, beachtete Vansen jedoch nicht weiter, sondern drehte sich wieder um und wollte aufs Pferd steigen. Vansen packte ihn um die Taille, und diesmal hielt er den Prinzen eisern fest. Barrick jappste vor Schmerz und wehrte sich immer erbitterter, schlug um sich wie ein Ertrinkender. Als klar wurde, daß Vansen der Stärkere war und Barricks krallende Finger weder seine Augen noch andere empfindliche Teile zu treffen vermochten, wand sich der Prinz noch ingrimmiger. Das leise Stöhnen wurde zu einem schrillen Kreischen, das sich in Vansens Ohren bohrte wie ein spitzer Stock, und der Prinz drosch und trat um sich wie ein Irrer. Vansen konnte nichts tun, als ihn festzuhalten. Er fühlte sich ein bißchen wie ein Vater, der Vater eines sehr kranken Kindes. Eines geisteskranken Kindes.
Wie soll ich ihn je nach Südmark zurückbringen?
fragte er sich. Barricks Kreischen wurde immer heiserer, ließ aber nicht nach. Vansen begann, rückwärts zu kriechen, den Prinzen zu seinem eigenen Pferd zu zerren.
Ich muß ihn fesseln. Aber womit? Und wie soll ich ihn an den Zwielichtlern vorbeischmuggeln?
Barricks Gegenwehr wurde noch heftiger, obwohl Vansen das gar nicht für möglich gehalten hätte. Er konnte den Prinzen nicht mehr weiterziehen, mußte, nur ein paar Schritt von den Pferden entfernt, innehalten und sich darauf beschränken, den Jungen mit Armen und Beinen zu umklammern, während das Geschrei weiterging, so gleichförmig wie das Kreischen eines kaputten Tors, das im Wind schlägt.
Schließlich war es zu viel. Vansens Glieder schmerzten vor Erschöpfung, und das Schreien des Jungen war so gräßlich, daß er das Gefühl hatte, ihn noch weiter in den Wahnsinn zu treiben. Er ließ ihn los, sah zu, wie der Junge zu schreien
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