Die Grenze
aufhörte — die Stille war eine Erlösung —, unsicher auf die Beine kam und zu seinem unnatürlich ruhig wartenden Pferd wankte.
Vansen rappelte sich auf und stolperte hinter ihm her. »Was habt Ihr vor, Hoheit? Wißt Ihr nicht, daß Ihr auf dem Weg ins Schattenland seid?«
Barrick kletterte mühsam in den Sattel, offensichtlich genauso erschöpft wie Vansen. Er richtete sich auf, hielt sich wieder die Seite. »Ich ... ich weiß.«
»Aber warum dann, Hoheit?« Als keine Antwort kam, wurde Vansen lauter. »Barrick! Hört doch! Warum tut Ihr das? Warum reitet Ihr in die Schattenlande?«
Der Junge zögerte, tastete nach den Zügeln. Das graue Pferd hatte, wie Vansen jetzt erst merkte, seltsam bernsteingelbe Augen. Vansen berührte den Prinzen wieder am Arm, diesmal sanft. Barrick sah tatsächlich kurz in seine Richtung, wenngleich sein Blick Vansens Augen nicht ganz zu treffen schien. »Ich weiß nicht, warum.
Ich weiß es nicht.«
»Kommt mit mir zurück. Dort vor Euch ist nichts als Gefahr.« Doch Vansen wußte, auch hinter ihnen war Gefahr, lauerten Wahnsinn und Tod. Hatte er nicht zuerst geglaubt, Barrick wollte den Schrecken des Schlachtfelds entfliehen? »Kommt mit mir nach Südmark. Eure Schwester hat sicher Angst um Euch. Prinzessin Briony — sie fürchtet bestimmt um Euch.«
Einen Moment lang schien es, als hätte er tatsächlich etwas in dem Prinzregenten angerührt: Barrick seufzte, sank ein wenig im Sattel zusammen. Dann war der Moment vorbei. »Nein. Ich ... ich werde gerufen.«
»Wohin gerufen?«
Der Junge schüttelte langsam den Kopf, die Gebärde eines Verlorenen und Verdammten. Vansen hatte diesen Gesichtsausdruck schon einmal gesehen, diesen leeren, verzweifelten Blick. Bei einem Mann zu Hause in Dalerstroy, einem entfernten Verwandten von Ferras' Mutter, der in Grenzstreitigkeiten zwischen zwei mächtigen Sippen geraten war und mit angesehen hatte, wie seine Frau und seine Kinder abgeschlachtet wurden. Dieser Mann hatte genau denselben Gesichtsausdruck gehabt, als er gekommen war, um sich zu verabschieden, ehe er auszog, die Mörder seiner Familie zu finden. Er hatte gewußt, daß ihn niemand begleiten oder rächen würde, daß sein eigener Tod unausweichlich war.
Vansen fröstelte.
Abrupt trieb Barrick sein Pferd nordwärts. Vansen rannte zu seinem eigenen Pferd und sprengte ihm hinterher, bis sie Seite an Seite ritten.
»Bitte, Hoheit, ich frage Euch noch ein letztes Mal. Wollt Ihr nicht zu Eurer Familie zurückkehren, in Euer Königreich? Zu Eurer Schwester Briony?«
Barrick schüttelte nur den Kopf, starrte wieder ins Leere.
»Dann zwingt Ihr mich, Euch in diese schrecklichen Gefilde zu folgen, denen ich schon einmal nur mit Müh und Not entkommen bin. Wollt Ihr das, Hoheit, daß ich Euch in den Tod folge? Weil mein Treueid mir nicht erlaubt, Euch allein reiten zu lassen.« Vansen sah sie jetzt vor sich, ihr hübsches Gesicht, die unzulänglich verhohlene Angst, aber auch die Tapferkeit, die darum um so beeindruckender war.
Jetzt bezahle ich für den Tod Eures Bruders, Briony. Jetzt zahle ich mit meinem eigenen Leben dafür.
Aber das würde sie wahrscheinlich nie erfahren.
Einen Moment lang, einen winzigen Moment nur, schien etwas von dem wahren Barrick in den Augen des Jungen sichtbar zu werden, so, als ob jemand, der in einem brennenden Haus gefangen war, ans Fenster kroch und um Hilfe rief. »In den Tod?« murmelte er. »Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.« Er ließ seine Augen zufallen, öffnete sie dann langsam wieder. »Es gibt seltsamere Dinge als den Tod, Hauptmann Vansen — seltsamere und ältere. Wußtet Ihr das?«
Es gab nichts zu sagen. An Körper und Seele erschöpft, konnte Vansen nichts anderes tun, als dem wahnsinnigen jungen Prinzen in die schattigen Hügel zu folgen.
Briony hatte die Festung nie als etwas Bedrückendes oder Bedrohliches gesehen — Südmarksburg war schließlich ihr Zuhause gewesen —, aber als sie jetzt leise die Lagune entlanggingen, dräute die Burg mit ihren hohen Türmen und hellen Fenstern über ihr wie ein finsteres, gekröntes Haupt.
Die ganze Nacht schien eine irre Phantasie, in der sich Dienerinnen in Ungeheuer verwandelten und Prinzessinnen verkleidet durch ihre eigene Festung schleichen mußten, in Skimmerkleidern, die nach Fisch stanken.
Ena führte sie durch die feuchten, engen Gassen zu einem Kai am Südteil der Lagune, wo die gewaltige äußere Ringmauer die Spenglergasse in Schattendunkel tauchte, aber sie bestiegen
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