Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
gefärbten Sprechweise, »ist uns allen eine Ehre, aber wir sind zur heiligen Schwarmversammlung hier. Keiner von uns darf gehen, bevor die Nacht vorbei ist, das wäre eine Beleidigung der Götter. Selbst wenn einer von uns sterben würde, müßte sein Leichnam bis Sonnenaufgang hier bleiben.«
    »Ist die Beleidigung der Götter schlimmer als der Tod der Prinzessin von Südmark, der Tochter Olins? Habt Ihr vergessen, was Ihr ihm schuldet?«
    Turley zuckte leicht zusammen, doch gleich darauf war sein glattes Gesicht wieder regungslos. »Trotzdem, großer Shaso-na.«
    Briony wurde klar, daß der Waffenmeister es hier mit jemandem zu tun hatte, der ebenso stur war wie er selbst, und sie wünschte, die Situation würde es ihr erlauben, das Spektakel zu genießen. »Können wir nicht bis Tagesanbruch warten?« fragte sie.
    »Wir können es nicht wagen, bei Tageslicht auf die Bucht hinauszufahren. Und Hendon Tolly wird nicht warten, sondern rasch herausfinden, wo der unterirdische Gang herauskommt, und dann wird er schnell drauf kommen, an der Skimmer-Lagune zu suchen. Und Brone wird, wenn er glaubt, daß es Eurer Rettung dient, nicht zögern, Männer von Haus zu Haus zu schicken.«
    »Aber wir wollen doch, daß Brone uns findet!«
    »Vielleicht. Doch wenn nur ein einziger Verräter unter seinen Männern ist, könnte ein Mißgeschick passieren — ein Pfeil etwa, der mir galt, aber versehentlich Euch trifft ...« Der alte Tuani-Krieger schüttelte den Kopf. Briony hatte das Gefühl, daß es ihm schwerfiel, so lange zu stehen. »Turley, könnt Ihr uns nicht zu jemand anderem schicken — jemandem, dem Ihr vertraut? Wir brauchen einen Mann mit einem Boot.«
    »Ich kann das machen«, erklärte das Skimmermädchen. Briony hatte gar nicht mitbekommen, daß es in der Tür stehengeblieben war, und schrak zusammen. Den versammelten Männern schien die Anwesenheit des Mädchens ebenfalls entgangen zu sein: Schockiertes Gemurmel erhob sich.
    »Du, Ena?« sagte Turley.
    »Ich. Ich kann genausogut mit Booten umgehen wie die meisten Männer. Das hier ist schließlich Olins Tochter — wir können sie nicht einfach wegschicken. Wer soll ihr Unterschlupf gewähren, wer soll sie dort hinbringen, wo sie hinmuß? Calkin? Jonne Wanderaug? Es hat seinen Grund, daß sie nicht hier bei der Schwarmversammlung sind. Nein, ich werde sie wegbringen.« Ihr Vater zögerte, lauschte, während er überlegte, dem empörten Gemurmel seiner Gefährten. Er bekam rote Flecken im Gesicht, und sein Hals schwoll, als würde er gleich einen riesigen Kehlsack aufblasen und rülpsen wie ein zorniger Frosch, doch er schluckte nur und schüttelte angewidert den Kopf. Das kannte Briony, sie hatte es oft genug bei ihrem Vater gesehen.
    »Ja, Tochter. Ich sehe keine andere Möglichkeit. Bring du sie fort. Aber paß auf, paß ja auf!«
    »Ich passe schon auf. Sie ist Olins Tochter, und Shaso-
na
ist ein Freund des Schwanns.«
    »Ja, aber paß auch auf dich selbst auf, du freche kleine Flunder.« Er breitete die Arme aus, und sie trat zu ihm und umarmte ihn kurz und selbstverständlich. »Ist Euch das recht, Shaso-
na
?« fragte Turley.
    »Natürlich«, sagte der alte Mann heiser.
    Ena musterte Shaso jetzt erstmals von oben bis unten. »Ihr braucht was zum Heilen für die Wunden und Verbrennungen da. Aber erst mal einen Zuber mit gutem Meerwasser, um den Gestank wegzukriegen.« Ihre schwerlidrigen Augen richteten sich auf Briony. Durch die nicht vorhandenen Brauen wirkten sie geheimnisvoll und entrückt, wie die Augen von jemandem, der lange krank gewesen war. »Ihr auch, Herrin. Hoheit, mein ich. Den zerfetzten Riesenrock da kriegt Ihr nie ins Boot, darum müßt Ihr wohl was von mir anziehen, wenn Ihr verzeiht. Aber wir müssen schnell machen. Frau Mond schwimmt noch, aber bald wird sie untertauchen.«

    In den Hügelausläufern sichtete Ferras Vansen den Reiter wieder — jedenfalls glaubte er, daß er sich in den Hügelausläufern befand, aber sicher ließ es sich nicht sagen. Vor wenigen Monaten noch war das hier das Gelände unmittelbar an der Schattengrenze gewesen, eine unheimliche, aber ansonsten ganz normale Gegend. Jetzt jedoch waren die Hügel vor Nebel so gut wie unsichtbar, und das ganze Land bis hinunter zur Bucht war fremd geworden.
    »Prinz Barrick!« Der Reiter drehte sich nicht um, glitt einfach nur weiter durch den wallenden Nebel. Zunächst dachte Vansen, er hätte sich vielleicht getäuscht, und es wäre nur ein Phantom, das die Schattengrenze

Weitere Kostenlose Bücher