Die Grenze
erledigen«, erklärte Kendrick ungeduldig. »Wenn Ihr fertig seid, werden wir alle genügend Zeit haben, uns zu unterhalten, ja, selbst alte Freundschaften wieder aufzufrischen, so es denn Freundschaften sind. Da ich es noch nicht getan habe, tue ich hiermit kund, daß der Gesandte Dawet unter dem Schutz der Markenkönige steht und niemand das Recht hat, ihm, solange er in friedlicher Mission hier ist, ein Haar zu krümmen oder ihn zu bedrohen.« Seine Miene war grimmig. Er hatte nur der Höflichkeit genüge getan. »Jetzt sprecht, Dawet.«
Anders als Kendrick lächelte Dawet und musterte die finsteren Gesichter um sich herum mit der Miene stiller Zufriedenheit, als ob alles, was er sich nur wünschen konnte, hier in diesem Saal versammelt wäre. Sein Blick glitt über Briony hinweg, machte halt und kehrte wieder zu ihr zurück. Sein Lächeln wurde noch breiter, und sie kämpfte gegen ein Frösteln an. Hätte sie nicht gewußt, wer er war, hätte sie es vielleicht spannend, ja sogar schmeichelhaft gefunden, aber jetzt war es, als streifte sie die dunkle Schwinge, die sie am Vortag gespürt hatte, der Schatten, der über ihnen allen schwebte.
Das ausgedehnte Schweigen des Gesandten und sein schamlos taxierender Blick gaben ihr das Gefühl, nackt in der Mitte des Raums zu stehen. »Was ist mit unserem Vater?« sagte sie laut, und es kam heftig heraus, wo sie doch wollte, ihre Stimme klänge gelassen und selbstsicher. »Ist er wohlauf? Um Eures Herrn willen hoffe ich, daß er bei guter Gesundheit ist.«
»Briony!« Barrick war das peinlich — er schämte sich wohl, daß sie einfach so herausplatzte. Aber sie ließ sich nicht begaffen wie ein zum Verkauf stehendes Pferd. Sie war eine Königstochter.
Dawet machte eine kleine Verbeugung. »Hoheit, ja, Euer Vater ist wohlauf, und ich habe sogar der Familie einen Brief von ihm überbracht. Vielleicht hat der Prinzregent ihn Euch noch nicht gezeigt ...?«
»Kommt zur Sache.« Kendrick wirkte seltsam defensiv. Irgend etwas ging hier vor, soviel war Briony klar, aber sie wußte nicht, was.
»Wenn er ihn gelesen hat, dürfte Prinz Kendrick bereits eine gewisse Ahnung haben, was mich hierherführt. Da ist natürlich die Frage des Lösegelds.«
»Man hat uns ein Jahr gegeben«, protestierte Gailon Tolly wütend. Kendrick sah ihn nicht einmal an, obwohl der Herzog unaufgefordert das Wort ergriffen hatte.
»Ja, aber mein Herr Ludis hat beschlossen, Euch einen anderen Vorschlag zu machen, einen, der für Euch vorteilhafter ist. Was Ihr auch immer von ihm denken mögt, der Lordprotektor von Hierosol ist ein weiser, weitblickender Mann. Ihm ist klar, daß wir alle einen gemeinsamen Feind haben und daher Wege suchen sollten, unsere beiden Länder zu einem doppelten Bollwerk gegen die Bedrohung durch den gierigen Herrscher von Xis zusammenzuschmieden, statt über Reparationen zu streiten.«
»Reparationen?« Kendrick war bemüht, einen ruhigen Ton beizubehalten. »Nennt es doch beim Namen. Lösegeld. Für einen unschuldigen Mann — einen König! —, der in Geiselhaft genommen wurde, als er genau das zu tun versuchte, was Ihr zu wollen vorgebt, nämlich ein Bündnis gegen den Autarchen zu schmieden.«
Dawet sagte mit einem geschmeidigen Schulterzucken; »Worte können uns trennen oder uns einander näher bringen, daher werde ich mich nicht auf Spitzfindigkeiten einlassen. Es gibt Wichtigeres zu bereden, und ich bin hier, um Euch das neue, großmütige Angebot des Lordprotektors zu unterbreiten.«
Kendrick nickte. »Fahrt fort.« Das Gesicht des Prinzregenten war so ausdruckslos wie das von Shaso, der immer noch vom Eingang des Saals aus zusah.
»Der Lordprotektor wird das Lösegeld auf zwanzigtausend Golddelphine herabsetzen — ein Fünftel dessen, was gefordert war und womit Ihr Euch einverstanden erklärt habt. Was er dafür verlangt, ist lediglich etwas, das Euch wenig kostet und beiden Seiten nützen wird.«
Die Höflinge besprachen sich jetzt leise, versuchten zu verstehen, was da vorging. In den Gesichtern einiger Edelleute, vor allem derjenigen, deren Bauern unter der Last der Abgaben für das Lösegeld unruhig zu werden begannen, stand sogar Hoffnung. Kendrick hingegen war aschfahl.
»Verdammt, sagt, was Ihr zu sagen habt«, brachte er krächzend hervor.
Der Gesandte machte ein Gesicht wie jemand, der im Begriff ist, auf dem Höhepunkt sorgsam aufgebauter Spannung die Katze aus dem Sack zu lassen.
Er sieht aus wie ein Krieger,
dachte Briony,
aber er spielt
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