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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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die Tür zurück. Gemeinsam verfolgten die Zwillinge, wie Chaven die Königin flink untersuchte und ihr in so normalem Ton Fragen stellte, daß Barrick fast nicht mitbekam, wie er ihr dabei ein Augenlid abzog oder ihren Atem schnupperte. Die anderen Frauen im Raum hatten sich wieder ihrer Stickerei und ihren Gesprächen zugewandt, außer der alten Hebamme, die das Tun des Leibarztes mit einem gewissen Revierneid beobachtete, und der Zofe Selia, die Anissas Hand hielt und lauschte, als ob alles, was die Königin von sich gab, die reine Weisheit wäre.
    »Hoheiten? Briony, Barrick?« Trotz der Tatsache, daß seine eine Hand tief unterm Nachthemdrücken der Königin steckte, hatte es Chaven geschafft, die kleine Uhr, die er an einer Kette trug, aus der Tasche seines Gewands zu ziehen. Er hielt sie hoch. »Es ist gleich Mittag. Wobei mir einfällt — habe ich Euch schon von meinem Plan erzählt, eine große Pendeluhr vor dem Trigontempel aufzustellen, damit jedermann sehen kann, wie spät es ist? Aus irgendeinem Grund ist der Hierarch dagegen ...«
    Die Zwillinge lauschten noch einen Moment höflich dem grandiosen und einigermaßen verblüffenden Plan des Arztes, entschuldigten sich dann und verließen eilig den Frühlingsturm: Sie hatten einen weiten Rückweg quer durch den Zwinger. Ihre Wachen, die unterdes mit den Wächtern der Königin geschwatzt hatten, stießen sich müde von der Turmwand ab und trotteten hinter ihnen her.

    Die Menge, die sich in der gewaltigen Halle der Markenkönige versammelt hatte — nur die Eddons sprachen vom »Thronsaal«, wohl weil die Burg ebenso ihr Heim wie ihr Herrschaftssitz war —, wirkte weit ernster und offizieller als der desorganisierte Haufen vom Vormittag. Briony überkam wieder Angst. Die Festung schien schon beinah im Kriegszustand: eine halbe Fünfzigschaft Wachsoldaten standen im großen Raum verteilt, nicht lässig und leise schwatzend wie die Wachen der Zwillinge, sondern stramm und stumm. Avin Brone, Graf von Landsend, war einer der vielen Edelleute, die der Audienz beiwohnten. Brone war Konnetabel von Südmark und somit einer der mächtigsten Männer der Markenlande. Vor Jahrzehnten hatte er die — wie sich herausstellen sollte, kluge — Entscheidung getroffen, den minderjährigen Thronfolger Olin Eddon getreulich zu unterstützen, nachdem dessen älterer Bruder, Prinz Lorick, plötzlich gestorben war, noch während der Vater der beiden, König Ustin, mit versagendem Herzen seinem Ende entgegendämmerte. Eine Weile war ein Bürgerkrieg wahrscheinlich erschienen, da sich verschiedene mächtige Familien als einzig wahre Sachwalter des minderjährigen Thronfolgers in den Vordergrund drängten. Aber Brone hatte irgendeinen Handel mit den Tollys von Gronefeld geschlossen, die als Verwandte des Hauses Eddon die lautesten Ansprüche auf eine einflußreichere Rolle in Südmark erhoben. Danach war es Brone im Verbund mit Steffans Nynor und einigen anderen gelungen, den Knaben Olin selbst auf dem Thron zu halten, bis er alt genug war, um unangefochten zu regieren. Der Vater der Zwillinge hatte diese Treue in kritischen Zeiten nie vergessen, und Brone waren Titel, Ländereien und hohe Ämter zugefallen. Ob die Loyalität des Grafen von Landsend durch und durch lauterer Natur gewesen war oder aber aus der Einsicht geboren, daß er unter einem Protektorat der Tollys jeden Zugang zur Macht verloren hätte, tat nichts zur Sache: Jedermann wußte, daß er gewieft war und über den Moment hinausdachte. Auch jetzt, während er sich mit den Großen des Hofes unterhielt, ließ er immer wieder den Blick quer durch den Thronsaal zu seiner Leibgarde schweifen, stets auf der Suche nach hängenden Schultern, krummen Knien oder einem Mund, der sich im Flüstergespräch mit einem Kameraden bewegte.
    Gailon Tolly, Herzog von Gronefeld, war ebenso in der Großen Halle wie fast alle übrigen Mitglieder des Thronrats — Burgvogt Nynor, der letzte von Brones ursprünglichen Bundesgenossen, Rorick, Graf von Dalerstroy, ein direkter Cousin der Zwillinge, Tyne Aldritch, Graf von Wildeklyff, und noch ein Dutzend weiterer Edelleute, alle in ihren besten Kleidern.
    Bei ihrem Anblick überkam Briony Empörung.
Dieser Gesandte kommt von dem Mann, der meinen Vater entführt hat. Wieso werfen wir uns für ihn in unseren besten Staat, als wäre er ein geehrter Gast?
Doch als sie Barrick diesen Gedanken leise mitteilte, zuckte er nur die Achseln.
    »Das ist, wie du sehr wohl weißt, alles nur

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