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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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Schaugepränge. Seht her, hier steht unsere versammelte Stärke!« sagte er bitter. »So wie man die Gockel vor dem Hahnenkampf umherstolzieren läßt.«
    Sie musterte die schwarze Gewandung ihres Bruders und verbiß sich eine Bemerkung.
Und da heißt es immer, wir Frauen dächten nur an unser Äußeres!
Es fiel schwer, sich die Damen des Hofes in einem Äquivalent zu den auffälligen Schamkapseln zu denken, die Graf Rorick und andere männliche Adlige zur Schau trugen — gewaltige Ausbeulungen, verziert mit Edelsteinen und raffinierter Stickerei. Bei der Vorstellung, wie das weibliche Gegenstück aussehen könnte, war sie in Gefahr, laut herauszuprusten, aber es war keine angenehme Heiterkeit. Die Angst, die schon den ganzen Vormittag an ihr nagte — als ob die Götter ihren kalten Griff um sie und ihr Zuhause fester schlössen —, erzeugte das Gefühl, daß ein solches Lachen, wenn es einmal herausbrach, nicht mehr enden würde — daß man sie womöglich aus dem Saal weisen müßte, lachend und weinend zugleich.
    Sie sah sich in der mächtigen, selbst jetzt, zur Mittagszeit, hauptsächlich von Kerzen erhellten Halle um. Die dunklen Wandteppiche ringsum, alle mit Darstellungen längst vergangener Zeiten und längst verstorbener Eddons, hatten etwas Beengendes und Erstickendes, wie schwere Decken, die auf ihr lasteten. Durch die hochsitzenden Fenster sah sie nur den grauen Kalkstein des Winterturms, zum Glück mit einem Streifen kühlblauen Himmels auf jeder Seite. Warum, fragte sie sich, gab es in einer Festung, die von Wasser umgeben war, keine einzige Stelle in dieser großen Halle, von der man aufs Meer blicken konnte? Briony hatte plötzlich das Gefühl, keine Luft zu bekommen.
Götter, warum kann es nicht endlich losgehen?
    Als hätten sich die himmlischen Mächte ihrer erbarmt, ging jetzt ein Raunen durch die Menge beim Portal, da eine kleine Schar bewaffneter Männer in Waffenröcken mit einem Emblem, das wie das goldene Schneckenhaus von Hierosol aussah, hereinkam und sich zu beiden Seiten der Tür postierte.
    Als die dunkelhäutige Gestalt eintrat, dachte Briony im ersten Moment verwirrt:
Warum machen sie alle so ein Getue um Shaso?
Dann fiel ihr wieder ein, was Gronefeld gesagt hatte. Als sich der Gesandte dem Podest mit Kendricks improvisiertem Thron näherte, erkannte sie, daß dieser Mann wesentlich jünger war als der Waffenmeister von Südmark. Und gutaussehend war der Fremde auch, jedenfalls war das Brionys spontaner Eindruck, aber dann war sie sich plötzlich unsicher, wie man jemand so Andersartigen beurteilen sollte. Seine Haut war noch dunkler als die von Shaso, sein dichtgelocktes Haar länger und am Hinterkopf zusammengebunden, und er war groß und dünn, während der Waffenmeister klein und kräftig war. Er bewegte sich mit einer knappen, selbstsicheren Eleganz, und seine schwarze Hose und das mit Schlitzen versehene Doublet waren so modisch geschnitten, daß sich jeder Günstling am syannesischen Hof dazu hätte beglückwünschen können. Die hierosolinischen Ritter, die ihm folgten, wirkten im Vergleich wie klirrende, blasse Marionetten.
    Im letzten Augenblick, als der gesamte Saal schon dachte, der Gesandte würde das Undenkbare tun und einfach das Podest betreten, auf dem der Prinzregent saß, blieb der schlanke Mann stehen. Einer der Schneckenhausritter trat vor und räusperte sich.
    »Wenn ich vorstellen darf, Hoheit: Dawet dan-Faar, Gesandter Ludis Drakavas, des Lordprotektors von Hierosol und sämtlichen krakischen Territorien.«
    »Ludis mag ja Protektor von Hierosol sein«, sagte Kendrick langsam, »aber er ist auch ein Meister der gewaltsamen Gastfreundschaft, wie sie meinem Vater derzeit zuteil wird.«
    Dawet nickte einmal und lächelte. Seine Stimme war wie das Grollen einer Großkatze, die noch keine Veranlassung zum Brüllen hat. »Ja, der Lordprotektor ist als Gastgeber berühmt. Kaum ein Gast verläßt Hierosol so, wie er gekommen ist.«
    Das provozierte feindseliges Geflüster. Der Gesandte Dawet wollte noch etwas sagen, hielt aber inne, als sein Blick auf das große Portal fiel, wo Shaso in seinem Lederpanzer stand, das Gesicht eine ausdruckslose Maske. »Ah«, sagte Dawet, »ich hatte schon gehofft, meinen alten Lehrer wenigstens einmal noch wiederzusehen. Seid gegrüßt, Mordiya Shaso.«
    Wieder kam Geflüster aus der Menge. Briony sah Barrick an, aber der war ebenso verwirrt wie sie. Was mochten die Worte des dunkelhäutigen Mannes bedeuten?
    »Ihr habt Geschäfte zu

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