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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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diese Szene wie ein Schauspieler. Es macht ihm Spaß.
Ihrem älteren Bruder hingegen machte es gar keinen Spaß, und ihn so bleich und unglücklich zu sehen, ließ ihr Herz ängstlich pochen: Kendrick wirkte wie in einem Albtraum gefangen. »Nun denn«, sagte Dawet. »Im Gegenzug für die Herabsetzung des Lösegelds, das König Olins Heimkehr gewährleistet, wird Ludis Drakava, Lordprotektor von Hierosol, Briony te Meriel te Krisanthe M'Connord Eddon von Südmark zur Ehefrau nehmen.« Der Gesandte spreizte die langen, anmutigen Finger. »In weniger hochtrabenden Worten, es geht um Eure Prinzessin Briony.«
    Plötzlich war sie es, die in einem Albtraum versank. Gesichter wandten sich ihr zu wie eine Wiese von Mädesüß, dessen Blüten der Sonne folgten. Bleiche Gesichter, erschrockene Gesichter, kalkulierende Gesichter. Sie hörte Barrick neben sich nach Luft schnappen, spürte, wie seine gesunde Hand ihren Arm umklammerte, entzog sich ihm aber. Ihr dröhnten die Ohren. Das Geflüster der Höflinge hallte jetzt so laut wie Donner.
    »Nein!« schrie sie. »Nie und nimmer!« Sie wandte sich Kendrick zu, verstand auf einmal diese kalte, unglückliche Maske. »Das werde ich niemals tun!«
    »Niemand hat dir das Wort erteilt, Briony«, stieß er heiser hervor. Irgend etwas regte sich in seinen Augen — Verzweiflung? Zorn? Kapitulation? »Und dies ist nicht der Ort, die Angelegenheit zu bereden.«
    »Das geht nicht!« rief Barrick. Vor Verblüffung und Spannung redeten die Höflinge jetzt laut durcheinander. Einige Stimmen, aber nicht viele, griffen Brionys Weigerung auf. »Das lasse ich nicht zu!«
    »Du bist nicht der Prinzregent«, erklärte Kendrick. »Vater ist nicht hier. Bis er wieder zurückkehrt, bin ich euer Vater. Das gilt für euch beide.«
    Er würde es tun. Briony war sich sicher. Er würde sie an diesen Raubritter, diesen grausamen Söldner Ludis, verkaufen, um das Lösegeld zu verringern und die Edelleute bei Laune zu halten. Die Decke des großen Thronsaals mit ihren Götterbildern schien sich zu drehen und als eine Wolke blendender Farben auf sie herabzustürzen. Sie drehte sich um und stolperte durch die murmelnde, gaffende Menge, ohne Barricks ängstliche Rufe und Kendricks herrische Befehle zu beachten, schlug dann Shasos Hand, die sie aufhalten wollte, weg und zwängte sich zum Portal hinaus, jetzt schon so aufgelöst, daß durch die Tränen Gemäuer und Himmel verschwammen.

5

Lieder vom Mond und den Sternen
    Die laute Stimme:
In einem Schneckenhaus,
Unter einer Wurzel, wo der Saphir liegt,
Drängen sich die Wolken und lauschen.

Das Knochenorakel
    Der Rübenbrei schien Jung-Flint nicht sonderlich zu begeistern, obwohl er mit Honig gesüßt war.
Na ja,
dachte Chert,
vielleicht kann man von einem Großwüchsigen nicht erwarten, daß er Wurzelgemüse ebenso schätzt wie wir.
Da Opalia zum Auslaßschacht für warme unterirdische Luft beim Alten Steinbruchsplatz gegangen war, um die frischgewaschene Wäsche zu trocknen, erbarmte er sich des Jungen und nahm das Schälchen weg.
    »Du brauchst nicht aufzuessen«, sagte er. »Wir beide gehen jetzt aus.«
    Der Junge sah ihn an, weder interessiert noch desinteressiert. »Wohin?«
    »Auf die Festung, in die Hauptburg.«
    Ein seltsamer Ausdruck huschte über das Gesicht des Kindes, aber es erhob sich behende von dem niedrigen Schemel und war schon zur Tür hinaus, noch ehe Chert seine Sachen zusammengesucht hatte. Obwohl der Junge am Vorabend erstmals die Keilstraße entlanggekommen war, wandte er sich ohne Zögern nach links. Sein Ortsgedächtnis beeindruckte Chert. »Du hättest recht, wenn wir nach oben wollten, Junge, aber das wollen wir nicht. Wir nehmen die Funderlingsstraßen.« Der Junge sah ihn fragend an. »Durch die Stollen. Das ist in die Richtung, in die wir müssen, schneller. Außerdem wollte ich dir gestern abend ein bißchen was von dem zeigen, was über der Erde ist. Jetzt sollst du ein bißchen mehr von dem sehen, was hier unten ist.«
    Sie gingen bis ans untere Ende der Keilstraße, dann über den Holzhammerweg zur Erzstraße, einer breiten, geschäftigen Straße, voller Karren und Steinhauertrupps, die auf dem Weg zu ihren jeweiligen Aufgaben waren. Einige standen sogar vor einer langen Reise in ferne Städte, für ein halbes Jahr oder mehr, da die Arbeit der Funderlinge von Südmark fast überall in Eion hoch geschätzt wurde. Es gab viel zu sehen in diesem ordentlichen Speichenrad aus Straßen, das der Kern der Funderlingsstadt bildete:

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