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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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aber irgend etwas in ihm wollte das Kind auch nicht belügen. »Ja, gewiß, der König hat auch damit zu tun. Sie wollen nicht, daß wir das Herz der Festung untertunneln, für den Fall, daß die Vorburg und die Funderlingsstadt je vom Feind überrannt werden.«
    »Aber es gibt noch einen Grund.« Das war keine Frage, sondern eine verblüffend ruhige Feststellung.
    Chert konnte nur die Achseln zucken. »Kaum etwas auf dieser Welt hat nur einen Grund.«
    Er führte den Jungen durch eine Reihe immer planloser anmutender Stollen aufwärts. Ihr Endziel lag im inneren Zwinger, und daß man von den Stollen der Funderlingsstadt aus dorthin gelangen konnte, war ein Geheimnis, das vom ganzen Funderlingsvolk nur Chert kannte — jedenfalls glaubte er das. Daß er es kannte, lag daran, daß er einmal jemandem einen Gefallen getan hatte, und obwohl es durchaus denkbar war, daß irgendein Feind diesen Weg nutzen könnte, um unter der Mauer des inneren Befestigungsrings hindurch zu kommen und die Hauptburg selbst anzugreifen, konnte er sich doch kaum vorstellen, wie jemand, der nicht als Funderling geboren und aufgewachsen war, durch dieses Labyrinth halbfertiger Straßen und roher Stollen finden sollte.
    Aber was ist mit dem Jungen?
dachte er plötzlich.
Er hat doch bewiesen, was er für ein gutes Gedächtnis hat.
Doch selbst diese klugen, verhangenen Augen konnten ja wohl unmöglich alles aufnehmen und festhalten, all diese Kehren und Haken und Dutzende falscher Abzweige, die jeden außer Chert durch endlose leere Gänge irren und im günstigsten Fall, wenn er nicht für immer in diesem Irrgarten verschollen bliebe, irgendwann wieder auf einer der Hauptstraßen der Funderlingsstadt herauskommen lassen würden.
    Trotzdem, konnte er es wirklich wagen, mit diesem Kind, über das er so wenig wußte, den geheimen Weg zu nehmen?
    Er musterte den Jungen, der im blassen Licht der Korallenbrocken tapfer neben ihm hermarschierte, klaglos einen Fuß vor den anderen setzte. Trotz der sonderbaren Herkunft des Jungen spürte Chert nichts Böses in ihm, und es war schwer vorstellbar, daß irgend jemand ein Kind dieses Alters als Spion einsetzen würde, geschweige denn in der Lage wäre, das Ganze so geschickt einzufädeln, daß der einzige, der diese Stollen kannte, das Kind mit zu sich nähme. Außerdem, hielt er sich vor Augen, müßte er, wenn er es sich jetzt anders überlegte, am Rabentor vorsprechen und die dortigen Wächter überreden, ihn in den inneren Zwinger zu lassen. Das würde aber bestimmt nicht klappen, selbst wenn er ihnen sagte, zu wem er wollte. Und wenn er ihnen erzählte, worum es ging, würde es bis zum Abend die ganze Festung wissen, und das würde nur Angst und wilde Gerüchte hervorrufen. Nein, er mußte weitergehen und sich auf seinen gesunden Menschenverstand verlassen. Und auf sein Glück.
    Erst als sie in den letzten Stollen einbogen, fiel ihm wieder ein, daß »typisch Cherts Glück« — jedenfalls in der Familie Blauquarz — für Pech stand.
     
    Der Junge starrte die Tür an. Sie war wohl kaum das, was man hier erwarten würde, am Ende einer halben Meile unterirdischer Gänge, die kaum mehr waren als hastig gegrabene Röhren, primitive Höhlen, wie sie Funderlingskinder zustande brachten, ehe sie als Lehrlinge in eine der Zünfte aufgenommen wurden. Denn diese Tür war eine Schönheit, soweit man das von einer Tür sagen konnte: aus dunklem Hartholz, das im Licht der Korallenbrocken glänzte, die schweren Eisenangeln mit filigranen Bronzemustern verziert. So viel Mühe, und für wen? Chert war nicht bekannt, daß je jemand außer ihm diese Tür benutzt hätte, und auch er tat es erst zum dritten Mal in zehn Jahren.
    Sie hatte nicht einmal einen Riegel oder eine Falle, jedenfalls nicht außen.
    Chert langte empor und zog an einer Kordel, die aus einem Loch in der Tür hing. Es bedurfte eines kräftigen Zugs, und die Glocke, die dadurch betätigt wurde, war außer Hörweite, deshalb zog Chert sicherheitshalber noch einmal. Sie warteten eine Ewigkeit — Chert wollte gerade ein drittes Mal an der Kordel ziehen —, ehe die Tür plötzlich nach innen aufschwang.
    »Ah, Meister Blauquarz?« Die Augenbrauen des rundlichen Mannes wölbten sich. »Und ein Freund, wie ich sehe.«
    »Entschuldigt die Störung.« Chert war plötzlich ziemlich unbehaglich zumute — warum hatte er es für sinnvoll gehalten, den Jungen mitzunehmen? Er hätte ihn doch auch einfach beschreiben können. »Dieser Junge ist ... nun ja, er wohnt

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