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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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um die Piken richtig zu handhaben. Shaso wich an die Wand zurück und stand schwer atmend da. Seine Arme waren blutverschmiert, und auch auf seinem Gesicht war Blut — altes, getrocknetes Blut, kaum sichtbar auf der dunklen Haut.
    »Hauptmann«, sagte Brone, »schafft mir Bogenschützen herbei.«
    »Nein!« Briony wollte vorwärts stürzen, aber der Konnetabel packte sie am Arm und hielt sie trotz ihrer Gegenwehr fest.
    »Verzeiht, Hoheit«, zischte er durch die zusammengebissenen Zähne. »Aber diese Nacht soll nicht noch mehr Eddons das Leben kosten.«
    Plötzlich schlüpfte jemand an ihm vorbei — Barrick. Während Avin Brone noch fluchte, blieb Brionys Bruder gleich jenseits der Tür stehen.
    »Shaso!« rief er laut. »Legt das weg!«
    Der alte Mann sah auf, schüttelte dann den Kopf. »Bist du das, Junge?«
    »Was habt Ihr getan?« Die Stimme des Prinzen zitterte. »Beim Fluch der Götter, was habt Ihr getan?«
    Shaso sah ihn mit schiefgelegtem Kopf an und lächelte dann, ein bitteres, grausiges Lächeln. »Was ich tun mußte — was richtig war. Werdet Ihr mich dafür töten? Um der Familienehre willen? Das ist wirklich ironisch.«
    »Ergebt Euch«, sagte Barrick.
    »Sollen die Wachen mich doch ergreifen, wenn sie können.« Obwohl von Trunkenheit verwaschen, war sein Lachen doch immer noch schrecklich. »Es kümmert mich nicht sonderlich, ob ich lebe oder tot bin.«
    Einen Moment lang sagte niemand etwas. Briony war vor Verzweiflung wie gelähmt. Die dunklen Schwingen, die sie in ihrer seltsamen Stimmung gespürt hatte, waren gar nicht schwarz gewesen, sondern blutrot; jetzt hatten sie sich über das gesamte Haus Eddon gebreitet.
    »Ihr verdankt Euer Leben meinem Vater.« Barricks Stimme war rauh vor Kummer oder Angst oder etwas anderem, das Briony nicht identifizieren konnte. »Ihr sprecht von Ehre — wollt Ihr denn noch die letzte Spur Ehre verlieren? Indem Ihr diese unschuldigen Männer hier tötet, statt Euch zu ergeben?«
    Shaso gaffte ihn an. Obwohl er an der Wand lehnte, verlor er für einen Moment das Gleichgewicht, riß aber die Hellebarde rasch wieder hoch. »Du scheust dich nicht, das zu tun, Junge? Mich daran zu erinnern?«
    »Nein. Vater hat Euch das Leben gerettet. Ihr habt geschworen, ihm und all seinen Nachfolgern zu dienen. Wir sind seine Nachfolger. Also legt die Waffe weg und tut, was die Ehre gebietet, wenn Euch das Wort Ehre noch nicht völlig fremd ist. Seid ein Mann.«
    Der Waffenmeister sah zuerst ihn an, dann Briony. Er stieß ein bellendes Lachen aus, das in rauhem Atmen endete. »Du bist noch grausamer, als dein Vater jemals war — grausamer noch als dein Bruder.« Er warf die Hellebarde hin. Dann schwankte er wieder, und diesmal sackte er in sich zusammen. Die Wachen stürmten vorwärts und umzingelten ihn, bis klar war, daß es sich nicht um eine Finte handelte, daß er vor Trunkenheit oder Erschöpfung oder irgend etwas anderem das Bewußtsein verloren hatte.
    Einer an jedem Arm und Bein, hievten ihn die Wachsoldaten hoch. Das war nicht leicht — Shaso war ein kräftig gebauter Mann. »Ins Verlies mit ihm«, befahl Brone. »Kettet ihn gut fest. Wenn er wieder zu sich kommt, werden wir ihn gründlich verhören, aber für mich besteht kein Zweifel, daß wir den Mörder haben.«
    Als Shaso an Briony vorbeigetragen wurde, flackerten seine Lider und öffneten sich. Er sah sie, wollte etwas sagen, brachte aber nur ein Stöhnen hervor, dann fielen ihm die Augen wieder zu. Sein Atem roch nach Alkohol.
    »Das kann nicht sein«, sagte sie. »Das glaube ich nicht.«
    Ferras Vansen, der Gardehauptmann, hatte auf dem Fußboden neben Shasos Bett etwas gefunden. Er faßte es mit einem Poliertuch, hob es auf und brachte es, so vorsichtig wie ein Bediensteter eine Königskrone, den Zwillingen und dem Konnetabel.
    Es war ein Tuani-Krummdolch, fast so lang wie der Unterarm eines Mannes — ein Dolch, den sie alle schon gesehen hatten, in einer Scheide an Shasos Gürtel. Der Griff war mit Leder überzogen. Die scharfe Klinge, sonst immer blitzblank poliert, war von oben bis unten blutverschmiert.

9

Weiße Schwingen
    Der Gürtel des Berggeists:
Er gewandet sich in Misteln und Bienenmoschus.
Der Blitz läßt die Bäume wachsen
Und die Erde schreien.

Das Knochenorakel
    »Toby!« brüllte der Arzt, als er durch die Eingangstür wankte. Er wußte nicht, ob er weinen, schreien oder den Kopf gegen die Wand schlagen sollte — er hatte seine Gefühle zu lange im Zaum gehalten. »Verflixter Kerl, wo

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