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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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einer ordentlichen Kolonne hinter ihm hermarschierte. Allmählich erst färbten sich der Himmel heller und die Schatten silbriger: Wären sie Großwüchsige gewesen und Dunkelheit nicht gewohnt, hätten sie Fackeln dabeigehabt. Cherts Männer waren ein wenig zurückgefallen, und einige flüsterten miteinander, aber alles noch innerhalb der Grenzen des gebührenden Respekts. Er wandte sich wieder dem Jungen zu. »Weil wir, wenn wir im inneren Zwinger arbeiten, immer durchs Tor gehen. Du weißt doch, es gibt keine Tunnel in die Hauptburg.« Er sah den Jungen beschwörend an und betete im stillen zu den Alten der Erde, daß das Kind nicht in Hörweite der anderen Funderlinge über den unterirdischen Eingang zu Chavens Observatorium plappern würde.
    Flint schüttelte den Kopf. »Wir hätten ein ganzes Stück unterirdisch gehen können. Ich
mag
die Stollen.«
    »Das freut mich, denn wenn du bei uns bleibst, wirst du einen Großteil deiner Tage dort zubringen. Aber jetzt sei still — wir sind gleich am Tor.«
    Ein junger Trigonpriester erwartete sie am Wachturm des Rabentors. Er war rundlich und sah aus, als ob er sich nicht viele Genüsse versagte, aber er behandelte Chert nicht so, als ob er, nur weil er klein war, auch schwachsinnig wäre, was alles viel angenehmer machte.
    »Ich bin Andros, der Sekretär des Burgvogts Nynor«, erklärte der Priester. »Und Ihr seid ...«, er sah in ein ledergebundenes Buch, »... Hornblende?«
    »Nein, der ist krank. Ich bin Chert Blauquarz und leite diese Arbeiten.« Er zog den
Astion
der Steinhauerzunft hervor, eine runde Scheibe aus ganz dünn geschliffenem (aber dennoch erstaunlich widerstandsfähigem) Kristall, die er an einer Schnur um dem Hals trug. »Hier ist mein Abzeichen.«
    »Ist schon gut, Meister.« Der Priester warf einen zerstreuten Blick auf den
Astion.
»Ich bin nicht hier, um Eure Befugnis in Frage zu stellen, sondern um Euch zu sagen, daß sich der Auftrag geändert hat. Ist Euch bekannt, was vorletzte Nacht hier geschehen ist?«
    »Gewiß. Die gesamte Funderlingsstadt ist in Trauer.« Was nicht ganz der Wahrheit entsprach, aber natürlich war die Nachricht an diesem düsteren gestrigen Tag von Haus zu Haus geflogen wie ein Echo, und die meisten Bewohner der unterirdischen Stadt waren tatsächlich entsetzt und verängstigt. »Wir waren uns nicht sicher, ob wir heute früh kommen sollten, wie ursprünglich vereinbart, aber da wir nichts anderes gehört hatten ...«
    »Ganz recht. Aber statt der geplanten Arbeiten haben wir eine traurigere und dringlichere Aufgabe für Euch. In der Familiengruft, wo Prinz Kendrick liegen soll, ist kein Platz mehr. Natürlich war uns das bekannt, aber wir dachten nicht, daß die Erweiterung so bald schon nötig sein würde, da wir nicht damit gerechnet haben ...« Er verstummte und tupfte sich die Nase mit dem Ärmel. Dieser Mann trauerte wirklich, das sah Chert.
Na ja, er hat den Prinzen bestimmt gekannt — vielleicht sogar oft mit ihm gesprochen.
Chert war ja selbst ganz schön betroffen, und er hatte den Prinzregenten allenfalls aus ein paar hundert Schritt Entfernung gesehen. »Wir sind froh, Euch diesen Dienst erweisen zu können«, erklärte er Andros.
    Der Priester lächelte traurig. »Gut. Also, hier habe ich Eure neuen Instruktionen, von Vogt Nynor persönlich. Die Arbeit muß rasch vorangehen, aber bedenkt, dies ist die letzte Ruhestätte für einen Eddon-Prinzen. Wir werden nicht die Zeit haben, die neue Gruftkammer richtig auszugestalten, aber wir können wenigstens dafür sorgen, daß sie sauber und wohlbemessen ist.«
    »Wir werden unser Bestes tun.«
     
    Im Inneren der Gruft legte sich ein Schatten auf Cherts Herz. Er sah Klein-Flint an: Der Junge bestaunte mit großen Augen, aber nicht weiter beunruhigt, die aufwendigen Ornamente, die stilisierten Wolfsmasken, die mit gefletschten Zähnen aus tiefem Schatten herausstarrten, und die Abbilder schlafender Krieger und Königinnen auf den uralten Steinsärgen. Die Gruftwände bestanden aus einer wabenartigen Anordnung von Nischen, und jede Nische enthielt einen Sarkophag. »Macht dir das angst?«
    Der Junge sah ihn an, als ergäbe die Frage keinen Sinn. Er schüttelte resolut den Kopf.
    Ich wollte, ich könnte das von mir auch sagen,
dachte Chert. Die Männer hinter ihm waren auf dem Weg durch die labyrinthische Gruft ebenfalls verstummt. Es war nicht die Angst vor Totengeistern, die ihm zu schaffen machte — obwohl er an diesem dunklen, stillen Ort solche Gedanken

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