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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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lange mit sich herumtrug, durch so viele Nächte voller Angst und Verzweiflung ... Aber die Gewohnheit von Jahren ließ sich nicht so leicht durchbrechen, nicht einmal jetzt. »Du wirst
mich
verlassen«, sagte er nur.
    Mitten in das düstere Schweigen, das seinen Worten folgte, platzte ein leises Klopfen an der Vorratskammertür. Die Zwillinge schraken zusammen, sahen sich mit weit aufgerissenen Augen an. Die Tür öffnete sich scharrend.
    Ihre Großtante Merolanna trat ein. »Hier seid ihr, ihr zwei, wußte ich's doch. Natürlich seid ihr hier.«
    »Sie haben dich losgeschickt, uns zu suchen«, sagte Briony vorwurfsvoll.
    »Ja, natürlich. Die ganze Burg ist in Angst und Schrecken und sucht euch verzweifelt. Wie konntet ihr nur so böse Kinder sein?« Aber Merolanna war nicht so zornig, wie ihre Worte klangen — ja, sie wirkte selbst eher wie eine Schlafwandlerin. Ihr bleiches, breites Gesicht, ohne jede Schminke, sah aus wie etwas, das man aus seinem Bau ans grelle Sonnenlicht gezerrt hatte. »Wißt ihr nicht, daß es das Schlimmste ist, was ihr jetzt tun könnt — einfach zu verschwinden, nach ... nachdem ...«
    Mit einem tiefen, erstickten Stöhnen krabbelte Briony zu Merolanna hin und vergrub ihr Gesicht im voluminösen Nachtgewand der alten Frau. »Oh, Tante Lanna, sie haben ihn u-umgebracht! Er ist ... er ist tot!«
    Merolanna bückte sich und streichelte ihr den Rücken, obwohl sie Mühe hatte, unter dem Gewicht des Mädchens das Gleichgewicht zu halten. »Ich weiß, Liebes ... Ja, unser armer, kleiner Kendrick ...«
    Und da kroch die entsetzliche Realität des Ganzen Barricks Rückgrat hinauf und wieder in seinen Kopf, ein gräßliches, riesiges Monster, das alles Licht und alle Vernunft auslöschte, und er krabbelte ebenfalls zu Merolanna hin und umschlang ihre Taille, so daß sie wieder ins Wanken kam. Ihr blieb nichts anderes übrig, als nach den Borden zu grabbeln und sich in einer mächtigen Wolke von gebauschtem Stoff auf den Boden sinken zu lassen.
    Sie hielt sie in den Armen. Das Haar der Zwillinge vermengte sich in ihrem Schoß wie die Wasser zweier Flüsse, eines roten und eines goldenen, und beide weinten wie kleine Kinder.
    Auch Merolanna weinte jetzt wieder. »Ach, meine armen Vögelchen«, sagte sie und sah ins Leere, während ihr die Tränen über die faltigen Wangen rannen. »Ach, meine armen Hühnchen. Meine armen Kleinen ...«

    Bis sie bei Avin Brone und den anderen ankamen, hatte Briony sich die Tränen getrocknet und sogar zugelassen, daß ihr Merolanna das Haar zu etwas Frisurähnlichem ordnete, aber sie fühlte sich immer noch wie eine Gefangene, die aus ihrer Zelle vor das hohe Gericht geschleift wurde.
    Doch obwohl der Hierarch (der laut Merolanna auf der Suche nach ihnen einmal halb um die Festung gelaufen war) hinter seiner geziemend ernsten und traurigen Miene unverkennbar wütend war, verzichtete Graf Brone darauf, Barrick und Briony zurechtzuweisen.
    »Wir haben auf Euch gewartet«, sagte er, als die Zwillinge näher kamen, wobei sie sich dicht bei Merolanna hielten, als ob sie sich von ihr Schutz versprächen. »Wir haben heute nacht noch Schweres zu tun, und Ihr seid jetzt die Oberhäupter des Hauses Eddon.«
    »Wer von uns?« fragte Barrick ein wenig boshaft. »Eine Familie kann doch nicht zwei Oberhäupter haben.«
    »Jeder von Euch«, sagte Brone verdutzt, als hätte er an dieses Problem noch gar nicht gedacht. »Ihr beide. Ihr müßt dabeisein, um der Gerechtigkeit genüge zu tun.«
    »Wovon sprecht Ihr?« fragte Briony. Dieser Vansen, der Gardehauptmann, stand hinter dem Konnetabel. Er hatte blutige Kratzer im Gesicht, und einen Moment lang schämte sie sich, daß sie so über ihn hergefallen war.
Aber er lebt, und mein Bruder ist ermordet worden,
dachte sie, und die Scham verflog. Er sah sie nicht an, was es erleichterte, ihn zu ignorieren.
    »Ich spreche von dem Messer, das Eurem Bruder und seinen Wachen die Wunden beigebracht hat, Prinzessin.« Brone drehte sich um, da es hinter ihm polterte und klapperte. Ein Trupp Wachsoldaten war erschienen und stand jetzt wartend am anderen Ende des Gangs. »Erzählt es ihnen, Hauptmann Vansen.«
    Der Mann konnte ihr immer noch nicht ins Gesicht sehen. »Es war eine krumme Klinge«, sagte er leise. »Hofarzt Chaven hat das festgestellt, als er den ... die Wunden untersucht hat. Ein Krummdolch.«
    Brone wartete, daß er noch mehr sagte, knurrte dann ungeduldig und wandte sich selbst an die Zwillinge. »Ein Tuani-Dolch,

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