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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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Raum um Raum voller verstaubter, fremder Dinge, allesamt achtlos verstreut. Auf einem Tisch stand ein Planetarium, das mit seinen verbogenen, nach allen Seiten abstehenden Eisenstäben wie irgendein stachliges Lebewesen wirkte. Alles war voller chaotisch übereinandergeschichteter Teppiche und Tapisserien, sogar die uralte Holzdecke, so daß sich schwer sagen ließ, wo oben und unten war. Die Ränder der Wandbehänge rollten sich in der aufsteigenden Hitze.
    Er blieb stehen. Jemand — oder etwas — rief seinen Namen.
    »Barrick! Wo steckst du?«
    Entsetzen packte ihn wie ein Krampf, als er begriff, daß nicht nur die Schattenmänner, die Gestalten aus Rauch und Blut, auf der Suche nach ihm waren, sondern noch etwas anderes. Etwas Dunkles, Großes, Einzelnes. Etwas, das schon lange, lange hinter ihm her war.
    Sein schnelles Gehen wurde zum Rennen, dann zu wilder, panischer Flucht. Aber sein Name hallte noch immer durch die Luft wie ein einsames Echo, das von einem Berggipfel zum anderen flog, oder wie der Schrei einer verlorenen Seele, die auf dem Mond gestrandet war.
    »Barrick? Komm sofort zurück!«
    Er war in einem langen, an einer Seite offenen Gang, rannte über eine Galerie, neben sich den Abgrund, ein Fehltritt, und er würde aus schwindelnder Höhe auf die Steinfliesen hinabstürzen. Inzwischen brannte bestimmt schon die ganze Burg — hier hatten bereits die unteren Ränder der Wandbehänge Feuer gefangen, und die Flammen fraßen sich zu den stilisierten Jagdszenen, den Darstellungen kühner Göttertaten und ruhmreicher Könige empor.
    »Barrick?«
    Er blieb stehen; sein Herz raste. Die Flammen kletterten immer höher, und die Galerie füllte sich mit schwarzem Rauch. Er spürte an seiner ganzen rechten Seite eine Gluthitze, die ihm die Haut versengte. Er wollte wieder losrennen, aber vor ihm im Rauch bewegte sich etwas. Etwas, das der zuckende Flammenschein in Rot und Orange tauchte.
    »Ich bin zornig. Sehr zornig.«
    Es fühlte sich an, als ob Barricks Herz jeden Moment sein Brustbein sprengen könnte. Die Gestalt trat aus den grauen Schwaden; Rauch floß an ihr herab wie Wasser, und Flammen züngelten im dunklen Bart.
    »Du sollst nicht vor mir weglaufen, Junge.«
Der Blick seines Vaters war stumpf und leer, so trüb wie die Augen eines toten Fischs in einem Eimer.
»Du sollst nicht weglaufen. Das macht mich zornig.«

    Bei allem Ärger über ihre Kleider war Briony jetzt doch froh, daß Moina und Rose sie so fest geschnürt hatten: Ihr besticktes Mieder war so starr wie ein Panzer. Es schien das einzige, das sie auf ihrem schartigen Sessel aufrecht hielt — diesem Sessel, der jetzt, zumindest für diesen verrückten Moment, der Thron von Südmark war.
    Ging es anderen auch so? Ging es vielleicht sogar allen so? Waren all die Höflinge in ihren Prunkgewändern nichts als verwirrte Seelen, die sich in Kostümen versteckten, so wie die harten Schneckenhäuser die hilflosen, nackten Wesen schützten, die darin wohnten?
    »Er sagt
was?«
Sie hatte jetzt wieder Angst, wenn sie sich auch zwang, sich nichts anmerken zu lassen. Sie bemühte sich sehr, den Konnetabel anzusehen, nicht die dunklen Ecken nach den Mördern und Verrätern abzusuchen, von denen sie sich in jener schrecklichen Stunde am Leichnam ihres Bruders umringt gefühlt hatte, die aber seit Shasos Festnahme so gut wie verschwunden gewesen waren. »Aber wir haben doch das Messer gefunden — wie erklärt er das?«
    »Er weigert sich, mehr zu sagen.« Avin Brone sah fast so müde aus wie Chaven vorhin, sein mächtiger Körper wirkte kraftlos. Er hätte sich sicher gern gesetzt, aber Briony rief nicht nach einem Schemel. »Er sagt einfach nur, daß er weder Euren Bruder noch die Wachen umgebracht hat.«
    »Hör nicht auf diesen Unsinn, Briony.« Gailon Tollys Ärger schien echt, und ausnahmsweise richtete er sich nicht gegen sie. »Würde ein Unschuldiger nicht alles sagen, was er weiß? Das ist nur die Scham, die über Shaso gekommen ist. Obwohl mich das bei einem solchen Schurken erstaunt.«
    »Aber wenn er nun die Wahrheit sagt, Herzog Gailon?« Briony wandte sich wieder an Brone. »Oder wenn er nicht der alleinige Mörder ist? Es scheint doch seltsam, daß er alle drei ganz allein getötet haben soll.«
    »So seltsam auch wieder nicht, Hoheit«, wandte der Konnetabel ein. »Er ist ein gefürchteter Kämpfer, und sie waren auf nichts Böses gefaßt — er kann sie einfach überrumpelt haben. Wahrscheinlich hat er den ersten Wachsoldaten

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