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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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mich sehr zornig!
«
    Die Stufen wanden sich im Bogen abwärts wie die Äste eines windgepeitschten Baums, verschwommen im Rauch wie unter Wasser, aber sie waren sein einziger Ausweg, und er zögerte nicht. Einen Moment lang hatten seine Füße festen Halt, aber dann krallte eine Hand nach seinem Rücken, hakte sich in seine Kleider, versuchte ihn zu packen.
    »Hiergeblieben!
«
    Und dann glitten die Füße unter ihm weg, und er stürzte die Stufen hinunter, neben sich den Abgrund, sprang wie ein geschleuderter Kiesel, polterte auf hartem Stein abwärts, bis alle Luft aus seinem Leib und aller Verstand aus seinem Kopf entwichen war. Während er fiel, wurden die Stimmen der Schattenmänner zu einem Schrei, zu Gebrüll, und er konnte nur noch denken:
Nicht noch mal!
    Oh, Götter, nicht noch einmal ...
    Er erwachte zitternd und weinend. Er wußte nicht, wo, ja nicht einmal, wer er war.
    Ein rundlicher Mann mit ernstem, freundlichem Gesicht beugte sich über ihn, aber einen Moment lang sah er wieder jenes andere Gesicht, das vertraute Gesicht, zu einer häßlichen Maske verzogen und mit einem Flammenbart, und er schrie auf und hieb um sich. In seiner Schwäche vermochte er kaum mit der Hand zu zucken, und der Schrei war nur ein ersticktes Stöhnen.
    »Schlaft«, sagte der Mann. Chaven. Er hieß Chaven. »Ihr habt Fieber, aber Ihr seid in guten Händen.«
    Fieber?
dachte er.
Es ist kein Fieber.
Die Burg brannte, und sie wurden angegriffen. Das Böse strömte durch das Innere der Burg wie vergiftetes Blut durch den Körper eines Sterbenden.
Briony!
 Plötzlich fiel sie ihm wieder ein, und wie in einer Wiederholung ihrer Zwillingsgeburt kehrte mit ihrem Namen auch seiner wieder.
Sie muß es wissen — man muß es ihr sagen.
Er bemühte sich wieder, etwas hervorzubringen, diesmal Worte. »... Briony ...«
    »Ihr geht es gut, Hoheit. Trinkt das.« Etwas herrlich Kühles wurde ihm in die Kehle gegossen, aber ihm fiel nicht gleich wieder ein, wie Schlucken ging. Als er zu husten und zu spucken aufgehört und noch etwas von der Flüssigkeit zu sich genommen hatte, legte sich Chavens kühle Hand auf seine Stirn. »Schlaft jetzt, Hoheit.«
    Barrick versuchte den Kopf zu schütteln. Warum verstanden sie denn nicht? Er fühlte, wie das Dunkel nach ihm griff, um ihn hinabzuziehen. Er mußte ihnen von den Bränden erzählen, von den Schattenmännern, die in der Burg umherschwärmten. Jahrelang hatten sie sich versteckt, aber jetzt waren sie in voller Stärke hervorgekommen. Vielleicht waren ja Feinde der Familie schon in nächster Nähe, nur ein paar Räume weiter! Und er mußte Briony von Vater erzählen — was, wenn er zu ihr kam? Wenn sie es nicht wußte, nicht durchschaute und ihn hereinließ?
    Das Dunkel zog an ihm, sog an ihm, verflüssigte ihn.
    »Sagt Briony ...«, brachte er heraus, dann glitt er wieder unter die helle Oberfläche und hinab in die lodernde Tiefe.

    Der junge Raemon Beck hatte Mühe, an irgend etwas anderes zu denken als an Helmingsee. Sie waren noch zwei Tagesritte westlich von Südmark, und von dort bis zu seinem Heimatort waren es noch einmal zwei Tagesritte, aber er war jetzt anderthalb Monate weg gewesen, und es war schwer, nicht an seine Frau und seine beiden kleinen Söhne zu denken, schwer, die Ungeduld zu zügeln.
    Es war leichter, als wir noch in Settland waren, Wochen von zu Hause,
dachte er.
Als wir noch beschäftigt waren, mit Feilschen, Kaufen und Verkaufen. Jetzt gibt es nichts zu tun außer reiten und nachdenken.
    Er betrachtete die kleine Karawane vor sich, fast zwanzig schwerbepackte Maultiere und noch einmal halb so viele Pferdekarren, alles unter dem Kommando seines Vetters Dannet Beck, der wiederum diese Handelsexpedition für seinen Vater, Raemons Onkel, leitete. Dannet hatte in den letzten Wochen ein paar Fehler gemacht, dachte Raemon — wie so viele unerfahrene Männer nahm er Widerstand gegen seine Autorität leicht als persönliche Mißachtung —, alles in allem jedoch hatte er sich nicht schlecht geschlagen, und die Maultiere und Pferdewagen transportierten Meilen und Abermeilen feinsten gefärbten settländischen Wollgarns, bereit für die Tuchwebereien der Markenlande. Und Raemon selbst würde auch von dieser Expedition profitieren, nicht nur durch seinen Anteil, der zwar winzig war, ihm aber dennoch mehr Geld bringen würde, als er in den fünfundzwanzig Jahren seines Lebens je gehabt hatte — genug möglicherweise, um das Haus seiner Eltern zu verlassen und sich ein eigenes

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