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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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zu bauen —, sondern auch durch die größere Verantwortung, die ihm in Zukunft zufallen würde, und vielleicht sogar eines Tages eine nicht unbeträchtliche Beteiligung am Familienunternehmen.
    Doch von diesen Aussichten ganz abgesehen, konnte er es einfach nicht erwarten, Derla in den Armen zu halten, seine Kinder und seine Eltern wiederzusehen und sein Brot am eigenen Tisch zu essen. Nur wenige Tage noch, aber die Wartezeit erschien ihm jetzt länger als zu Beginn der Reise.
    Wir könnten schneller reiten, wenn wir uns nicht mit dieser settländischen Prinzentochter und ihrer Begleitung zusammengetan hätten.
Das Mädchen, kaum vierzehn und mit den Augen eines verängstigten Kitzes, war auf die Reise geschickt worden, um Rorick Longarren, den Grafen von Dalerstroy und Verwandten der Eddons, zu heiraten. Nach allem, was Raemon über Rorick wußte, war es erstaunlich, daß er überhaupt heiraten wollte, erst recht aber ein Mädchen aus dem abgelegenen, gebirgigen Settland, aber Königshaus war offenbar Königshaus, und jedwede Prinzentochter eine lohnende Trophäe.
    Beck hatte nichts gegen sie, und selbst in diesen vergleichsweise friedlichen Zeiten war es beruhigend, die Karawane von ihrer Leibwache, einem Dutzend gepanzerter und bewaffneter Männer, begleitet zu wissen, doch das junge Ding war unterwegs Öfters krank geworden; mindestens dreimal hatten sie verfrüht Station machen müssen, was den heimwehkranken Raemon schier zur Verzweiflung getrieben hatte.
    Er blickte sich nach den Settländern um, sah dann wieder auf die ungleichmäßige Prozession der Maultiere vor sich. Einer der Maultiertreiber winkte ihm zu und zeigte dann auf die Lücken zwischen den Baumkronen und den wolkenlosen Herbsthimmel, als wollte er sagen: »Was haben wir doch für ein Glück!« Die ersten Tage der Rückreise waren ihnen durch kalten Regen am Rand der östlichen Gebirge vergällt worden, daher war dieses Wetter wirklich eine erfreuliche Abwechslung.
    Er winkte zurück, aber eigentlich mochte er diese bewaldeten Hügel nicht sonderlich. Er wußte von der Hinreise, wie finster dräuend sie bei Regen wirkten und wie düster auch noch bei Sonnenschein. Selbst an einem relativ warmen Tag wie diesem hing dichter Nebel über den Kuppen und in den Tälern zwischen den Hügelflanken. Tatsächlich schien dort vorn gerade eine Nebelzunge den Hang herabzugleiten, durch den Wald und über das dunkelgrüne Gras auf die Straße zuzukriechen.
    Trotzdem, es ist schneller als der Seeweg,
dachte er.
Diese ganze lange Fahrt nach Süden, durch die Meerengen und die Ostküste wieder hinauf, nur um auf die andere Seite zu kommen — da hätte ich Derla und die Jungen ein halbes Jahr nicht gesehen ...!
    Weiter vorn wurden jetzt Rufe laut. Raemon Beck sah erschrocken, daß die Nebelzunge die Straße bereits erreicht hatte: Zwanzig Schritt weiter konnte er gerade noch die schemenhaften Formen von Bäumen und die vagen Umrisse von Männern und Packtieren ausmachen. Er guckte hoch. Der Himmel hatte sich rasch verdüstert, als wäre der Nebel auch über den Baumwipfeln herangekrochen.
    Ein Unwetter ...?
    Das Geschrei war jetzt laut und irgendwie seltsam — in den Stimmen der Männer lag nicht nur Überraschung oder Verärgerung, sondern echte Furcht. Die Härchen in seinem Nacken und auf seinen Armen sträubten sich.
    Ein Überfall? Wegelagerer, die den plötzlichen Nebel ausnutzen?
Er blickte sich nach der bewaffneten Eskorte der Prinzentochter um, sah zwei der Männer aus dem Nebel hervorgaloppieren und an sich vorbeidonnern und begriff mit Entsetzen, daß der Nebel jetzt auch hinter ihnen war: Sie trieben in einem Nebelmeer wie ein Boot auf dem Ozean.
    Während er noch mit zusammengekniffenen Augen in den Nebel spähte, kam plötzlich eine Gestalt hervorgesprungen, und sein Pferd scheute. Raemon Beck erhaschte nur einen kurzen Blick auf das, was sein Pferd so erschreckt hatte, aber dieser eine Moment genügte, um sein Herz stocken und beinah für immer stehenbleiben zu lassen: Es war ein in Fetzen und Spinnweben gehülltes Wesen, das nach ihm schlug, bleich, langärmlig und ohne Augen, mit einem Mund, so zerfranst wie ein zerrissener Sack.
    Sein Pferd stieg erneut und geriet, als die Vorderhufe wieder aufsetzten, ins Straucheln. Beck mußte sich mit aller Kraft festklammern. Ringsum schrien jetzt Männer — und auch Pferde, gräßliche Schreie, wie er noch nie welche gehört hatte.
    Gestalten taumelten aus dem Nebel und verschwanden wieder darin,

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