Die Grenze
wünschte, die Zeit würde stehenbleiben und sie bräuchte sich nie mehr von diesem Fleck wegzurühren, nie zu erfahren, was sie sonst noch erwartete. Ein starker, süßlicher Geruch drang in ihre Nase, drohte sie zum Niesen zu bringen. Sie linste unter halbgesenkten Lidern hervor. Mehrere Priester hatten sich um sie geschart wie Ameisen um einen Kuchenkrümel und bliesen Weihrauch aus ihren Bronzeschalen auf sie, parfümierten sie für die Nähe des Autarchen.
»Du hast großes Glück, kleine Tochter«, sagte Pinnimon Vash. »Du bist über die meisten Frauen dieser Welt erhoben worden. Weißt du das?«
»Ja, Herr. Natürlich, Herr.« Sie preßte die Stirn fester auf die Steinplatten, spürte, wie die kalte Hautstelle größer wurde. Ihre Eltern hatten sie an den Autarchen verkauft, ohne auch nur zu fragen, was aus ihr werden würde. Sie überlegte, ob sie wohl den Kopf fest genug auf die Steinplatten schlagen könnte, um sich umzubringen, ehe sie jemand daran hinderte. Sie wollte den Herrn der Welt nicht heiraten. Schon beim Anblick seines Gesichts und seiner seltsamen Vogelaugen fühlte sich ihr Herz an, an würde es gleich stehenbleiben. So nah bei ihm spürte sie förmlich die Hitze, die von seinem Körper ausging, als wäre er eine Metallstatue, auf die den ganzen Tag die Sonne geschienen hatte. Die Vorstellung, daß diese dünnfingrigen Hände sie berührten, die goldenen Fingerschützer über ihre Haut kratzten, während sich dieses Gesicht auf ihres herabsenkte ...
»Steh auf.« Das war der Autarch selbst. Sie erhob sich, so wacklig, daß der Oberste Minister die trockene Hand unter ihren Ellbogen schieben mußte. Die blassen Augen des Gottkönigs wanderten über ihren Körper, zu ihrem Gesicht hinauf und wieder zurück. Es lag nichts Lüsternes in diesem Blick, überhaupt nichts Menschliches: Es fühlte sich an, als hinge sie an einem Fleischerhaken.
»Sie ist dünn, aber nicht häßlich«, sagte der Autarch. »Sie muß natürlich in den Frauenpalast. Gebt sie der alten Cusy. Sagt ihr, diese hier muß eine besondere und äußerst sorgsame Behandlung erhalten. Panhyssir wird ihr mitteilen, was erwartet wird.«
Zu ihrem Erstaunen merkte Qinnitan, wie sie den Blick hob und den Autarchen ansah, und sie hörte sich sagen: »Herr und Gebieter, ich weiß nicht, warum Ihr mich erwählt habt, aber ich werde mein Bestes tun, Euch zu dienen.«
»Du wirst mir schon dienen«, sagte der Autarch mit einem seltsam kindischen Lachen.
»Darf ich eine Bitte äußern, mächtiger Herr?«
»Du wirst den Autarchen mit ›Lebender Gott auf Erden‹ oder mit ›Goldener‹ ansprechen«, sagte der Oberste Minister streng, während die versammelte Menge ihre Dreistigkeit mit Gemurmel quittierte.
»O Goldener, darf ich eine Bitte äußern?«
»Äußere sie.«
»Darf ich mich von meinen Schwestern im Bienentempel verabschieden? Von meinen Freundinnen? Sie waren so gut zu mir.«
Er sah sie einen Moment an, nickte dann. »Jeddin, ein paar von Euren Leoparden werden sie hinbringen, damit sie sich verabschiedet und alles holt, was sie aus ihrem alten Leben braucht. Dann kommt sie in den Frauenpalast.« Seine blassen Augen wurden ein wenig schmaler. »Du scheinst nicht glücklich über die Ehre, die ich dir erweise, Mädchen?«
»Ich ... ich bin überwältigt, o Goldener.« Angst hatte sie jetzt gepackt. Sie konnte kaum so laut sprechen, daß er sie über die paar Schritt Entfernung verstehen konnte. Sie wußte, die übrigen Versammelten in dem riesigen Raum hörten nichts, nicht einmal ein Murmeln. »Bitte, glaubt mir, mir fehlen die Worte, mein Glück zu beschreiben.«
Der kleine Trupp Leoparden geleitete sie durch die langen Gänge des Obstgartenpalasts, eines Labyrinths, das sie nur vom Hörensagen kannte, das aber jetzt wohl für den Rest ihres Lebens ihr Zuhause sein würde. Gedanken wirbelten durch ihren Kopf wie erstickender Weihrauch.
Warum will er mich? Er hat mich doch bis heute so gut wie nie gesehen? »Nicht häßlich«, hat er gesagt. So etwas sagt man bei einer arrangierten Ehe. Aber ich bringe doch nichts ein. Meine Eltern — Niemande! Warum in aller Welt sollte er mich erwählen, auch nur als eine neue Ehefrau unter Hunderten ... ?
Der Hauptmann des Leopardentrupps, der muskulöse, ernst dreinblickende Soldat namens Jeddin, beobachtete sie wieder. Er schien es schon länger zu tun, aber sie hatte es jetzt erst bemerkt. »Es tut mir leid, Herrin«, sagte er, »aber ich kann Euch nicht viel Zeit für den
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