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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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waren sie die Einsatzfreude in Person gewesen. Ja, der ganze Arbeitstrupp hatte sich vorbildlich verhalten — selbst Bims tat seine Arbeit mit einem Minimum an Beschwerden. Was auch immer ihnen an der ursprünglichen Aufgabe nicht gepaßt haben mochte, sie hatten ihren Unmut hinuntergeschluckt, um die Gruft des Prinzregenten fertigzukriegen. Zum Glück. Zwar kam das einzige Licht da, wo Chert stand, von den Fackeln in den steinernen Wandhaltern — vier davon neu gemeißelt —, aber er war sich sicher, daß die Morgensonne bereits über die östlichen Mauerzinnen kroch, was hieß, daß bis zur Beisetzung nur noch wenige Stunden blieben.
    Es war nicht leicht gewesen, ganz und gar nicht, und Chert konnte nur seinen Blauquarz-Ahnen danken, daß es ein vergleichsweise kleiner Auftrag gewesen war — die Errichtung nur einer neuen Gruftkammer — und daß sie es hauptsächlich mit Kalkstein zu tun gehabt hatten. Dennoch hatten sie hier und da fünfe gerade sein lassen müssen — oder besser, krumm: Die neue Kammer war seltsam geformt und am hinteren Ende, wo ein niedriger Durchgang in weitere Höhlen führte, noch unfertig, und sie hatten lediglich die Wand mit der Grabnische des Prinzregenten geglättet. Harte Flintbrocken ragten noch immer wie Inseln aus den Wänden, und die meisten Ornamente harrten noch der Vollendung. Klein-Bort war kaum noch Zeit geblieben, die Grabkammer selbst und die umliegende Wand zu verzieren, aber der Steinmetz hatte trotz der Hast hervorragende Arbeit geleistet und das rohe Loch im Gebein des Midlanfels in eine Art schattige Waldlaube verwandelt. Der Steinsockel, auf dem der Sarg des Prinzregenten stehen würde, schien ein Bett aus langem Gras. Die Baumstämme und die herabhängenden, dichtbelaubten Äste waren so kunstvoll aus den Wänden der Grabkammer gemeißelt, daß sie sich, Reihe um Reihe, in der Ferne zu verlieren schienen. Chert hatte das Gefühl, durch das steinerne Astwerk hindurchgehen zu können, ins Herz eines lebendigen Waldes.
    »Es ist prächtig«, erklärte er Klein-Bort, der gerade letzte Hand an ein Büschel Blumen auf dem Sockel legte. »Keiner wird sagen können, die Funderlinge hätten nicht ihren Teil und noch mehr getan.«
    Klein-Bort wischte sich Staub vom schweißfeuchten Gesicht. Er wirkte älter, als er war — er war erst ein paar Jahre verheiratet, hatte aber schon das faltige Gesicht eines Großvaters, und das Weiß in seinem Bart kam nicht nur vom Kalkstaub. »Trotzdem, traurige Sache. Man hätte doch meinen sollen, das würde die Aufgabe meines Sohns oder gar meines Enkelsohns sein, nicht meine. Er ist jung dahingegangen, der arme Prinz. Und wer hätte gedacht, daß dieser Südländer so etwas tun würde? Nach all den Jahren schien er doch fast schon zivilisiert.«
    Chert wandte sich ab und rief den anderen zu, sie sollten sich mit dem Abbauen der Gerüste beeilen. Glimmer und Talk standen jetzt auf dem Boden und waren fast fertig, aber der Trupp mußte noch die Löcher vergipsen, wo die Gerüstbalken im Stein verankert worden waren, und das mußte bald geschehen: Vogt Nynor hatte draußen schon ein Dutzend Leute warten, die die Familiengruft der Eddons mit Blumen und Kerzen schmücken sollten.
    Klein-Bort musterte eine steinerne Blüte, setzte noch ein paar letzte Korrekturen mit dem Meißel und nahm dann den Polierstab zur Hand. »Wo wir's gerade von Söhnen haben, wo ist denn deiner?«
    Chert verspürte eine seltsame Mischung aus Stolz und Irritation, als er Klein-Bort den Jungen als seinen Sohn bezeichnen hörte.
    »Flint? Den habe ich rausgeschickt, ehe ihr gekommen seid — er spielt wohl oben. Hätte mich in den Wahnsinn getrieben, ihn die ganze Zeit vor den Füßen zu haben.« Was nur ein Teil der Wahrheit war. Das Kind hatte sich so sonderbar benommen, daß es ihm sogar ein bißchen angst gemacht hatte. Ja, Flint hatte sich so aufgespielt, daß Chert schon gefürchtet hatte, vom Höhlenende der Gruft dränge vielleicht schlechte Luft herein —
Atem der schwarzen Tiefe
hieß das bei seinem Volk, und es hatte über die Jahre schon manchen Funderling das Leben gekostet —, aber von den anderen hatte keiner irgendwelche Anzeichen gezeigt. Bald schon war klar geworden, daß das Benehmen des Jungen bizarrer war, als es selbst eine Blase schlechter Luft hätte erklären können: Er schien von der dunklen Öffnung am Ende der Gruft angezogen und verängstigt zugleich, brummte vor sich hin, während er in das Loch hineinlugte wie ein wesentlich

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