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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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gesamte Königreich wankte?
    Wenn Shaso der Mörder war und wenn er die Tat allein begangen hatte, dann gab es dafür keinen plausiblen Grund, wie also konnte sie je wieder jemandem trauen? Wenn er irgendwie bestochen worden war oder wenn jemand anders diesen schrecklichen Mord begangen und ihm die Schuld in die Schuhe geschoben hatte, dann waren die Eddons von einem fürchterlichen Feind gezielt ins Herz getroffen worden, während sie in ihrem eigenen Haus schliefen. Wie sollte da irgendwer je wieder schlafen können?
    Ihr Herz hatte bereits zu rasen begonnen, ehe sie erkannte, was dieses neue Geräusch war: ein leises Klopfen an der Tür ihres Gemachs. Draußen standen Wachen, das wußte sie. Nicht einmal dieser leichtsinnige Tölpel Vansen würde sie in solchen Zeiten unbewacht lassen. Sie warf sich einen Umhang über — der Raum mit den Steinfliesen war kalt — und ging in Richtung Tür.
    Aber Kendrick hatte auch Wachen,
fiel ihr ein, und sie fröstelte noch mehr.
Er muß sich auch sicher gewähnt haben.
    »Prinzessin?« Es war eine leise Stimme, die sie dennoch erkannte. Jetzt überfiel sie eine ganz andere Angst. Sie stürzte zur Tür, zögerte dann aber wieder.
    »Chaven? Seid Ihr's? Seid Ihr's auch wirklich?«
    »Ja, ich bin's.«
    »Wir sind auch hier, Hoheit.« Das war einer der Wachsoldaten: Sie erkannte die brummige Stimme, wenn ihr auch der Name des Mannes nicht einfiel. »Ihr könnt aufmachen.«
    So groß war das Grauen der letzten Tage gewesen, daß sie sich alle Mühe geben mußte, nicht zurückzuweichen, als die Tür schließlich aufschwang. Draußen im Schein der Fackeln standen Chaven und die Wachen. Das Gesicht des Arztes war ernst und abgezehrt vor Erschöpfung, doch das Schreckliche, das sie erwartet hatte, spiegelte sich nicht darin.
    »Geht es um meinen Bruder?«
    »Ja, Hoheit, aber habt keine Angst. Ich wollte nur sagen, daß das Fieber offenbar seinen Höhepunkt überschritten hat. Er wird nicht so schnell wieder er selbst sein, aber ich bin der festen Überzeugung, daß er überleben und wieder genesen wird. Er hat nach Euch gefragt.«
    »Barmherzige Zoria! Den Göttern sei Dank!« Briony fiel auf die Knie und senkte den Kopf zum Gebet. Sie hätte vor Freude außer sich sein müssen, aber statt dessen war ihr plötzlich schwindelig. Jetzt, da diese schreckliche Angst von ihr genommen war, kam es ihr vor, als ob die ganze Kraftanstrengung, mit der sie sich aufrecht gehalten hatte, auf einen Schlag in sich zusammenbrach. Sie wollte aufstehen, schwankte jedoch und sank wieder zu Boden. Chaven und einer der Wachsoldaten faßten sie an den Armen.
    »Wir werden überleben«, flüsterte sie.
    »Ja, Prinzessin«, sagte er, »aber jetzt werdet Ihr erst einmal wieder zu Bett gehen.«
    »Aber Barrick ...!« Der Raum drehte sich immer noch um sie. »Ich werde ihm sagen, daß Ihr gleich morgen früh kommt. Jetzt schläft er wohl ohnehin.«
    »Sagt ihm, daß ich ihn liebe, Chaven.«
    »Das werde ich tun.«
    Sie ließ sich ins Bett helfen — und konnte nicht umhin, an Kendrick zu denken, der sich in diesem Moment in den Händen der Totenmägde des Kernios befand. Doch weder diese schreckliche Vorstellung noch die langsam kreisenden Wände vermochten die Erschöpfung zurückzudämmen.
    »Sagt Barrick ...«, sagte sie, »... sagt Barrick ...«, aber das war alles, was sie herausbrachte, ehe die Müdigkeit sie endlich übermannte.

11

Die Braut des Gottkönigs
    Die Beeren:
Weiß wie Bein, rot wie Blut
Rot wie Kohlen, weiß wie Ton
Sind denn keine süß?

Das Knochenorakel
    Wenn Qinnitan angenommen hatte, der Thronsaal des Autarchen wäre eine intimere Umgebung als das Höhlenlabyrinth des Bienentempels, so war das ein Irrtum: Das Gepränge, das den Goldenen umgab, war hier noch überwältigender, die schwarz-weiß geflieste Halle dicht gefüllt mit Hunderten von Soldaten, Repräsentanten Dutzender Adelsfamilien und Vertretern von Handel und Beamtentum, alle vereint unter den wachsamen Augen der Götter, die die Decke zierten. Der Autarch selbst thronte in der Mitte des Ganzen, auf dem prächtigen Falkenthron, einem riesigen Vogelkopf mit Federn aus Topas und Augen aus rotem Jaspis. Sulepis Bishakh am-Xis III. saß unter dem Baldachin, den der obere Teil des mächtigen goldenen Raubvogelschnabels bildete. Der Autarch war von seinen legendären Musketieren, den Leoparden, umgeben, und die Leoparden wiederum umgab eine fast ebenso berühmte Truppe perikalesischer Söldner, die Weißen Hunde. Sie waren

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