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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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allesamt schon Hunde der zweiten oder dritten Generation, da ihre Vorväter vom Großvater des jetzigen Autarchen in einer berühmten Seeschlacht gefangengenommen worden waren. Nur wenige konnten noch Perikalesisch, aber der Herr über den größten Teil des Kontinentes Xand hatte genügend hellhäutige Frauen zur Verfügung, um dafür zu sorgen, daß die Hunde so weiß blieben wie ihre Vorväter. Sie sahen seltsam aus, diese Nordländer, selbst für Qinnitans verwirrten und verängstigten Blick, eher wie die Bären, die sie auf Bildern gesehen hatte, denn wie Hunde, behaart und bärtig, mit breitem Kreuz und mächtigen Schultern.
    Durch den Ring der perikalesischen Söldner starrte sie einer der Leoparden an — ein wichtiger Soldat, nach dem langen schwarzen Schweif an seinem Helm zu urteilen. Die Querfalte in seiner Stirn war so tief wie eine Schwertwunde, und seine aufwendige Rüstung betonte die breiten Schultern noch. In panischer Angst, schon etwas falsch gemacht zu haben, schlug Qinnitan die Augen nieder.
    Als sie wieder aufsah, wich die Menge der Höflinge gerade unter endlosen Verbeugungen vom Falkenthron zurück, und sie konnte den Autarchen jetzt sehen. Der junge Gott auf Erden lehnte sich zurück, starrte zu dem langen Schnabel über sich empor, als wäre er allein im Raum, und kratzte sich flüchtig die lange Nase. Seine goldenen Fingerschützer funkelten, winzige Bewahrer aller Schöpfung. Es war eine Wahrheit, so unumstößlich wie die, daß der Himmel blau war: Der Autarch durfte auf keinen Fall versehentlich etwas Unreines berühren.
    Qinnitans Mutter weinte jetzt wieder. Qinnitan hatte auch Angst, konnte dieses Verhalten aber nicht verstehen. Sie stieß ihrer Mutter den Ellbogen in die Seite, eine Unverschämtheit, die in den meisten Familien undenkbar gewesen wäre. »Sch-sch!« zischte sie leise, was als noch unmöglicher gegolten hätte.
    »Wir haben ja solches Glück!« schluchzte ihre Mutter leise.
    Wir?
Trotz des Schocks, so plötzlich aus der Menge der Mädchen herausgegriffen zu werden, trotz der unfaßbaren Seltsamkeit des Ganzen und trotz der unausbleiblichen Regung von Stolz, weil sie irgendwie das Augenmerk des mächtigsten Mannes der Welt auf sich gelenkt hatte, wußte Qinnitan eines gewiß: Sie wollte den Autarchen nicht heiraten. Da war etwas an ihm, das ihr große Angst machte, und es war nicht nur seine unermeßliche Macht oder das, was sie über seine grausamen Launen gehört hatte. Da war etwas in seinen Augen, etwas, das sie noch bei keinem Menschen gesehen hatte, allenfalls damals im Auge jenes Pferdes, das seinen Reiter aus dem Sattel geworfen und dann, als sich der Fuß des Mannes im Steigbügel verfing, auf dem belebten Marktplatz zu Tode geschleift hatte. Hundert Schritt weit war der Kopf des Mannes immer wieder aufs Pflaster geschlagen, bis ein Soldat das Untier schließlich mit einem Pfeil nieder streckte. Als das Pferd dagelegen und seine letzten rot schäumenden Atemzüge getan hatte, da hatte sie sein wild rollendes Auge gesehen, das Auge eines Wesens, das nicht das sah, was wirklich da war.
    Der Autarch, wiewohl gelassen und offenbar amüsiert von dem, was um ihn herum vorging, hatte solche Augen. Sie wollte nicht — wollte auf keinen Fall — so einem Mann gegeben werden, um an sein Bett zu treten, sich für ihn auszuziehen, sich von ihm berühren und nehmen zu lassen, auch dann nicht, wenn er wirklich ein Gott auf Erden war. Schon der bloße Gedanke machte sie frösteln wie Fieber.
    Aber was blieb ihr anderes übrig? Sich weigern hieße, sterben zu müssen und vorher noch ihre Eltern und Geschwister sterben zu sehen — und keinem von ihnen würde ein schneller Tod beschieden sein.
    »Wo sind die Eltern des Bienenmädchens?« fragte der Autarch plötzlich. Beim Klang seiner Stimme wurde es ganz still im Raum. Jemand hustete nervös.
    »Dort stehen sie, o Goldener«, sagte ein älterer Mann, der etwas trug, das wohl eine Zeremonialrüstung aus silbernem Tuch war. Er zeigte mit dem Finger dorthin, wo sich Qinnitans Eltern tief über den Steinboden beugten. Plötzlich merkte Qinnitan, daß sie keine Demutshaltung angenommen hatte, und sie beugte den Kopf. Der Mann in dem silbernen Tuch mußte wohl Pinnimon Vash sein, der Oberste Minister.
    »Bringt sie her«, befahl der Autarch mit seiner kräftigen, hohen Stimme. Wieder hustete jemand. Es klang so laut in der Stille, die den Worten des Autarchen folgte, und sie war schrecklich froh, daß es nicht ihr Vater oder ihre

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