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Die Grenzgängerin: Roman (German Edition)

Die Grenzgängerin: Roman (German Edition)

Titel: Die Grenzgängerin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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sie genau fünfzehn Sekunden, dann war sie drin.
    Es roch muffig, abgestanden. Sie öffnete ein Fenster und machte sich an die Arbeit.
    Sie suchte nach dem Fehler in der Routine, nach irgendeiner Abweichung, nach dem Hauch einer Andeutung, dass irgendetwas im Agentenalltag des Karl Müller in dieser Stadt schiefgelaufen war.
    Im Schrank hing nichts, das war normal. Sie ließen alle Kleidung grundsätzlich im Koffer, um im Notfall schnell verschwinden zu können. Aber auch in seiner großen Tasche war nichts Auffälliges. Im Bad roch es merkwürdig nach Verwesung. Wieso das? Gut, es war Krieg im Land, vielleicht war er mit Verwesung in Berührung gekommen.
    Dass Müller ins Land geschickt worden war, um eine Quelle zu treffen, stand außer Zweifel, denn die Männerstimme hatte gesagt, sie sei Quelle Sechs. Und die Stimme hatte auch gesagt, Müller könne nicht ans Telefon kommen, weil er im Moment noch wirr im Kopf sei. Also hatten sie ihn wahrscheinlich niedergeschlagen oder aber anderweitig verletzt. Sie hatten seine Weste samt Inhalt, und damit hatten sie ihn und seine Handys. Und wenn sie nur den Hauch einer Ahnung hatten, mussten sie zuerst die Handys zerstört haben. Na klar, Goldhändchen hatte ihn nicht mehr anpeilen können.
    Quelle Sechs musste ein sehr mächtiger Mann sein, denn vor Beginn des Aufstandes hatte nur eine relativ kleine Clique die Möglichkeit gehabt, eine wirklich gute Quelle zu sein. Eine Quelle wofür? Für die Erdölförderung oder Ähnliches aus dem Bereich der Industrie? Eine Quelle für bestimmte Strömungen in der Bevölkerung? Was davon war interessant? Die Gruppe der Militärs? Vielleicht die Gruppe der Muslime? Die Gruppe der Menschen, die unmittelbar mit Gaddafi lebten? Oder ganz einfach die Gruppe derer, die elitär und reich leben durften?
    »Mein lieber Krause, jetzt könnte ich dich gebrauchen«, sagte sie ein wenig mutlos.
    Sie hockte sich einen Moment in einen Sessel und hätte gern eine Zigarette geraucht, aber sie war auch dankbar, dass sie keine gekauft hatte.
    Einen Augenblick später verließ sie das Zimmer von Müller wieder.
    Sie entschied sich dagegen, ein Zimmer zu mieten. Allerdings fragte sie an der Rezeption, wo sie denn Kopftücher kaufen könne. Eine westliche Frau, noch dazu mit asiatischem Aussehen, mit langem schwarzem Haar war möglicherweise anstößig. Ihre Jeans waren ohnehin dicht an der Grenze des Zumutbaren.
    Man sagte ihr, gleich um die Ecke sei ein solcher Laden. Als sie dort war, ärgerte sie sich darüber, dass der Laden für schlichte Kopftücher immerhin bis zu 150 US -Dollar verlangte. Also ging sie ein wenig weiter in die Gassen hinein und entdeckte dann, dass andere Läden für ähnliche Tücher fünf Dollar nahmen. Sie kaufte zwei: ein schwarzes, ein dunkelgrünes. Das schwarze band sie sich um den Kopf.
    Dann ging sie zurück zum Hotel, achtete darauf, dass Müllers Bild richtig herum vor ihrem Magen baumelte, und lief langsam die Reihe der Taxis ab. Müller bevorzugte in fremden Städten grundsätzlich Taxis, während sie sich eher mit Bussen und Bahnen fortbewegte. Was immer Müller zugestoßen war: Er musste vorher aus einem Taxi gestiegen sein.
    Sie nahm das letzte Taxi in der Reihe und fragte: »Kann man Gaddafis Palast besichtigen?«
    Der Fahrer war ein älterer Mann. »Was willst du in den ausgeräumten Gebäuden, Frau?«
    »Kann man den Krieg besichtigen?«, fragte sie weiter.
    »Ja, das kannst du, wenn du Lust hast zu sterben. Draußen in der Wüste.«
    »Dann fahr mich bitte zu den Häusern der Reichen«, sagte Svenja.
    »Die sind auch leer. Die Herrschaften haben sich abgesetzt und sind zu ihren Bankkonten gefahren«, wandte der Mann ein. »Aber bitte, du bezahlst mich schließlich.«
    Es ging über breite Straßen, auf denen dichter Verkehr herrschte und es vollkommen unklar war, wer auf wen Rücksicht zu nehmen hatte.
    »Was will dieser Idiot denn?«, fragte der Fahrer aufgebracht.
    »Welcher Idiot?«, fragte Svenja.
    »Na, der hinter mir, der dauernd auf der Lichthupe steht. Der soll mich doch in Ruhe arbeiten lassen.«
    »Vielleicht hat er etwas gegen dich«, sagte Svenja.
    »Der hört nicht auf«, sagte der Fahrer wütend.
    »Dann halte doch an und frage ihn«, sagte sie.
    Der Fahrer bog ab auf einen kleinen, staubigen Platz und wartete.
    Svenja drehte sich um und sah einen jungen Mann herankommen, der sich zuerst zu dem Fahrer beugte, etwas schnell und hastig erklärte und dann neben ihrem Fenster auftauchte. Sie drehte die

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