Die Grenzgängerin: Roman (German Edition)
wollte wissen, ob sie ihn ausgezogen und wieder angezogen hatten, aber das festzustellen war schwierig, und er konnte sich nicht daran erinnern, was er getragen hatte, als die Ärztin neben ihm gekniet hatte. Sie hatte gesagt, sie werde ihm die Hose vom Bein schneiden, daran erinnerte er sich.
Er wollte sich aufrichten und erschrak, als das nicht möglich war. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Seine Hände lagen parallel zueinander oberhalb seines Kopfes. Er versuchte die Arme vor sein Gesicht zu bringen. Das gelang nicht ganz, aber immerhin konnte er jetzt sehen, was sie gemacht hatten. Sie hatten ihm Handschellen angelegt. Über seiner Brust lag ein breiter feuerroter Gurt. Wenn er den Kopf leicht hob, sah er über seiner Körpermitte einen zweiten roten Gurt, etwa in Höhe der Taille. Dann bewegte er die Beine, konnte sie aber nicht einmal leicht anheben. Dort war ebenfalls ein Gurt in Höhe der Waden angebracht. Sie hatten ihn einfach auf der Liege festgeschnallt.
Er rief krächzend: »Hallo!«
Der Alte näherte sich mit gemächlichen Schritten von links. »Was willst du?«
»Hast du etwas zu trinken für mich?«
»Ja, habe ich. Warte einen Moment.« Dann schlurfte er wieder davon.
Die Verunsicherung war gewichen, Müller brachte seine Arme nach vorn. Was sie getan hatten, war sehr logisch. Und er konnte zunächst einmal gar nichts dagegen machen. Er konnte an keinem der breiten roten Gurte so etwas wie ein Schloss oder eine Schnalle entdecken.
Der Alte kam zurück, er trug eine Flasche Wasser und drehte den Verschluss auf. Er hockte sich hin, setzte die Flasche an Müllers Lippen und sagte: »Mach nicht so hastig, sonst verschluckst du dich.«
»Wann ziehen wir denn um? Und wohin?«, fragte Müller.
»Ich werde darauf nicht antworten«, erwiderte der Alte.
Als etwas Wasser über Müllers Kinn lief, nahm er die Flasche beiseite und wischte ihm den Mund mit der Hand ab. Es hatte etwas Rührendes, durchaus Väterliches.
»Du kümmerst dich sehr«, sagte Müller.
»Natürlich«, sagte der alte Mann. »Du musst das ganz sachlich sehen. Wenn es uns nützen würde, würde ich dich töten. Aber das bringt uns nichts. Du bist gekommen, um mit meinem Sohn zu sprechen, jetzt haben wir dich und tauschen dich ein. Das ist ein ganz einfaches Geschäft.«
»Was ist, wenn sie mich nicht eintauschen?«
»Das ist doch eine dumme Frage«, sagte der Alte. »Du bist ein teurer Spion. Sie werden dich behalten wollen, oder?«
»Ja, da hast du wohl recht«, antwortete Müller. Dann dachte er: Oder vielleicht doch nicht?
Der Alte stand wieder auf und ging davon.
Müller wollte noch ein paar Stunden schlafen, um sich zu stärken, aber seine Gedanken waren zu konzentriert. Was würde Svenja tun, wenn sie von seiner Gefangennahme erfuhr? Sie würde wütend werden, und sie würde versuchen, in seine Nähe zu kommen. Niemand würde sie davon abhalten können, nicht einmal Krause. Diese Gedanken machten ihm Mut, sie stimmten ihn sogar beinahe ein wenig heiter. Ja, Svenja würde kommen, irgendwie, irgendwann. Sie würden sich an den Händen fassen und miteinander wegrennen.
Du lieber Gott, du bist ein Romantiker, ein hoffnungsloser, völlig altmodischer Typ, beschäftige dein Hirn mit etwas anderem, nicht mit so einem Kunsthonig. Aber Müller spürte sich lächeln.
Plötzlich war Quelle Sechs neben ihm und fragte: »Hast du eine Vorstellung, wie lange deine Leute brauchen, um mir eine Maschine nach Beirut zu schicken?«
»Das weiß ich nicht«, antwortete Müller. »Ich denke, sie haben die Möglichkeit, das schnell in die Wege zu leiten. Hast du sie denn nicht gefragt?«
»Noch nicht«, sagte Quelle Sechs. »Aber das tun wir gerade. Ich will ihnen diese Botschaft schicken, verstehst du?« Er hielt ein BlackBerry in der Hand und richtete es auf Müller.
»Ja, natürlich.« Mit rauer Stimme sagte Müller in das Gerät: »Two, four, six, eight, eleven.« Und dann die Zahlen in Deutsch: »Zwei, vier, sechs, acht, elf.« Es war der Code, dass sie ihn hatten und dass er dagegen machtlos war.
»Ich danke dir«, sagte Quelle Sechs und grinste breit. Dann ging er wieder davon.
Müller rief ihm nach: »Ich hätte gern etwas gegen die Schmerzen.«
»Ich schicke meinen Vater«, antwortete er, ohne sich umzudrehen.
Svenja wusste genau, dass es keine Frage des Glücks sein würde, sondern eine Frage der konsequenten, harten und vor allem schnellen Arbeit. Mit Glück rechnete sie nie, das war zu riskant.
Die Maschine setzte sanft
Weitere Kostenlose Bücher